die stimme der kritik: Betr.: Leithammel Türkei?
Kniggisierung
Leitkultur, Leitkultur, Leitkultur. Man mag sich ja schon gar nicht mehr aufregen. Da kommt die Grünen-Chefin Renate Künast gerade recht mit ihrem Einwurf, auch Multikulti sei ein falscher Begriff, es ginge doch vielmehr um die Frage: Nach welchen Regeln leben wir? Ja, nach welchen denn?
Die Türkei – ausgerechnet! – ist in dieser Sache schon einen guten Schritt weiter. In Istanbul nämlich, meldet AFP, ist eine Hotline eingerichtet worden, auf der alle möglichen Probleme des Miteinanders angesprochen werden können. „Hallo Fatwa“, so die Agentur, wird von einem „neunköpfigen Mufti-Team“ betrieben und bietet fundierte Antwort auf so ungefähr jede Frage. TürkInnen brauchen keine Angst mehr zu haben, an die Leitplanken des guten, gedeihlichen Miteinanders zu donnern und gegen den landeseigenen Commonsense zu verstoßen.
Vor allem Frauen, so Milliyet, wenden sich vertrauensvoll an „Hallo Fatwa“ und holen sich Rat in Zweifelsfällen. Etwa so: Erlaubt der Koran, dass ich per Internet einen Ehepartner suche? Während hierzulande gerne das Beispiel des seine Frau prügelnden Türken als Musterfall mangelnder Anpassung ans Deutschtum ins Feld geführt wird, fragen taktbewusste Türkinnen bei „Hallo Fatwa“ an: Darf ich meinen Ehemann schlagen? Leider verschweigt AFP die Antwort.
Wäre es nicht gut, auch die Bundesregierung beriefe ein neunköpfiges Mufti-Team, von dem endlich konkrete Fragen an die deutsche Kultur flott und zufrieden stellend beantwortet werden? Vielleicht so: Sind Kopftücher heute noch tragbar? Von einer solchen Kniggisierung des Alltags wäre viel Entspannung zu erwarten. Der Leiter der Istanbuler Religionsbehörde, Necati Tayyar Tas, indes bleibt skeptisch. Frauen, sagte er, würden so oft bei „Hallo Fatwa“ anrufen, weil sie „zu viel Freizeit haben, wenn das Haus leer ist“. Ist das ein Blick ins Auge der Leitkulturdebatte? REINHARD KRAUSE
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