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Betr.: Josef Sudek: "Prag panoramatisch"

Während Atget in Paris sein Lebenswerk vollendete, wurde auch Josef Sudek, einarmiger Bewohner des Invalidenheims in Prag, Fotograf. Was Sudek mit seinem Vorläufer in Paris verbindet, ist das Vertrauen auf das Handwerk und – daraus resultierend – eine spezielle Einfühlung für die Fähigkeit des Apparats, Details metonymisch zu besetzen. Was ihn singulär macht, ist eine Kultur des Blicks (eher als „ein Stil“): Sudek sucht am Objekt seine Klassizität, aber sein Gedächtnis für das Klassische ist ein umfangreiches Register, das Altdorfer, C.D. Friedrich und Edward Weston (den Zeitgenossen) einschließt. Sudek ist mit den modernen (den verfremdenden) Optionen der Fotografie vertraut gewesen, aber er war kein Apologet einer visuellen Grammatik. Ohne konservatives Programm ist Sudeks Fotografie das Gegenteil des „internationalen Stils“, der die geistigen und visuellen Anstrengungen seiner Generation dominierte. Sein gelassen melancholischer Blick, sein umfangreiches ortsbezogenes Werk steht trotz seiner Einzigartigkeit für die künstlerische tschechische Fotografie dieses Jahrhunderts.

Sein Panorama-Projekt, unter technischem Aspekt geradezu programmatisch schwerfällig, begann er nach dem Zweiten Weltkrieg; 1959 erschien das Buch über Prag, eine Studie in fast dreihundert Bildern; jetzt ist es wieder da. Die Kontaktkopien („1:1-Abzüge“) von den Negativen, die Sudek dem Verlag damals zur Druckkontrolle dienten, waren Vorlagen für diesen querformatigen Bildband, der mit kurzen informativen Texten (auf deutsch, parallel auch auf englisch und tschechisch) nun erhältlich ist. Er ist, was Kontrast und Raster angeht, kein Meisterwerk, aber vermittelt dennoch Sudeks ehrgeiziges und einleuchtendes Projekt.

Die Panoramaperspektive bedeutet, fotografisch, eine gesteigerte Flucht (auch Dinge in Mitteldistanz werden zur Kulisse); in der wandernden Schau von links nach rechts oder andersherum kommt ein Zeitfaktor ins Spiel (exemplifiziert durch die Krümmung der Linien in der Mitte, die dem Betrachter bauchig entgegenkommen). Sudek hat diese Technik eingesetzt, um ein entrücktes Prag zu zeigen. Das Poetische ist aber eine Angelegenheit der Visualisierung, nicht des Sujets. Genauso wie am Wenzelsplatz fotografierte Sudek in den Vororten, wo die Straßenbahn kehrtmacht.

Ulf Erdmann Ziegler

Josef Sudek: „Prag panoramatisch“, Verlag Odeon, Prag. Deutsche Ausgabe etwa 95 DM

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