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Betr.: Gertrud Fussenegger

„Einst waren hier unter zehn Menschen fünf Juden zu treffen, Juden, die Strumpfbänder und Fahrpläne feilboten, Juden, die in kostbaren Pelzen oder geckenhaften Anzügen zum Geschäft und Vergnügen flanierten; und neben ihnen waren die Straßen von Bettlern umvölkert, von jammervollen Gestalten, die schamlos auf den Knien liegend den Groschen erwinselten. Andere wieder standen mit an den Scheiben der Stehbierhallen plattgedrückten Gesichtern auf der Lauer, wann drinnen einer der Gäste etwa einen Bissen auf einem Teller liegen ließe, um dann hereinzustürzen und den Rest zu verschlingen. Im schneidenden Märzwind um elf Uhr nachts konnte man Frauen mit einem Säugling im Arm beim Bettelgewerbe antreffen – ihre klagenden Stimmen durchschnitten mit monotonem Ruf den vorbeibrausenden Lärm.

Derlei Unfug ist heute in Prag längst verschwunden.“

(Aus: Gertrud Fussenegger, „Böhmische Verzauberungen“, 1944)

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