Besuch in A20-Protestcamp bei Oldenburg: „Ein Ort für ein anderes Leben“

In Westerstede harren Geg­ne­r:in­nen der Autobahn 20 auch im Winter auf einer nassen Wiese aus. Sie wollen die Zerstörung von Mooren verhindern.

Besprühte Wohnwägen und Holzbauten auf einer matschigen Wiese.

Gekauft sind nur die Wohnwagen: Camp der A20-Gegner:innen in Westerstede bei Oldenburg Foto: Fabian Steffens

WESTERSTEDE taz | Der Wind pfeift über die freien Wiesen, aber immerhin scheint die Sonne auf das Protestcamp. In den vergangenen Wochen hat das Wetter den A20-Geg­ne­r*in­nen ziemlich zugesetzt, regelmäßiger Sturm hat Zelte beschädigt. Ein paar Ak­ti­vis­t*in­nen räumen nun den Vorrat an Baumaterialien auf – auch um damit an weiteren Hütten und der Infrastruktur für das Camp zu bauen.

Die Wiese liegt nahe Oldenburg im Landkreis Ammerland, genauer gesagt in der Gemeinde Westerstede. Dort soll nach Plänen des Bundesverkehrsministeriums in den nächsten Jahren die sogenannte „Küstenautobahn“ entstehen, die die Nord- und Ostseeregionen miteinander verbinden soll, von der polnischen Grenze bis zur A28, die in die Niederlande führt.

Doch da gerade der niedersächsische Teil des geplanten Großprojekts durch viele Moorgebiete führt, regt sich Widerstand. Die Umweltschutzorganisation BUND und lokale Bür­ge­r*in­nen­in­itia­ti­ven gehen seit Jahren juristisch gegen den Autobahnneubau vor, im Mai 2021 kam das Protestcamp hinzu. Hauptkritikpunkt der Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen ist die Zerstörung der Moore, weil dadurch besonders große Mengen CO2 freigesetzt würden. Moore trockenzulegen ist fürs Klima sogar schlimmer als Wälder zu roden.

Das Camp liegt auf dem Grundstück eines Bauern, der den Protest unterstützt. Kommt die Autobahn, droht ihm die Enteignung. Auf der Wiese stehen Zelte, alte Wohnwagen und selbst gebaute Holzunterstände. Der Boden ist matschig oder steht komplett unter Wasser. Um zumindest Teile des Camps trockenen Fußes zu erreichen, wurden aus alten Holzpaletten Stege gebaut und das Wichtigste wind- und wasserfest verstaut.

Nur ein warmes und trockenes Zelt

Die dauerhafte Feuchtigkeit führe im Camp sogar zu Schimmel an nicht eingepackter Kleidung, erzählen die Be­woh­ne­r*in­nen vor Ort. Der einzig halbwegs warme und trockene Ort während der Wintermonate ist ein großes Zelt im Eingangsbereich, dort verbringen sie die langen Abende gemeinsam.

Warum die Ak­ti­vis­t*in­nen trotzdem hier ausharren, erläutert Julia Herbst. „Was bringt es mir, jedes Wochenende feiern zu gehen, wenn ich weiß: Die Welt geht kaputt“, fragt die junge Frau, die seit mehreren Monaten im Camp lebt. „Hier kann ich etwas gegen diese Zerstörung tun.“ Sie findet es unverantwortlich, dass in der Klimakrise überhaupt weitere Autobahnen gebaut werden – der Bau im Moor mache die A20 zum „teuersten und klimaschädlichsten Infrastrukturprojekt in Deutschland“.

Laut einer Studie des BUND betragen die Baukosten rund sieben Milliarden Euro, etwa doppelt so viel, wie im Bundesverkehrswegeplan veranschlagt.

Außerdem kritisiert auch der BUND, dass etwa die Hälfte der geplanten Strecke zwischen Westerstede und Bad Segeberg über Moorgebiete verläuft, auf etwa 2.000 Hektar. Zusätzlich zu den CO2-Emissionen durch die Zerstörung der Moore würden durch die neue A20 jährlich rund 50.000 Tonnen CO2 emittiert. Statt Milliarden für den Autobahnbau fordert der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt die Politik auf, „in eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur zu investieren“, also etwa in den Ausbau von Bus- und Bahnverkehr.

Die regionalen Wirtschaftsverbände sehen das ganz anders. In einer gemeinsamen Erklärung fordern die norddeutschen Industrie- und Handelskammern, das geplante Autobahnprojekt fortzuführen. Sie verweisen auf notwendige Autobahnanbindungen der niedersächsischen Nordseehäfen, damit diese konkurrenzfähiger werden.

Hierarchiefrei und nachhaltig

Die Lokalpolitik im Landkreis Ammerland erhofft sich außerdem von der neuen Autobahn eine Entlastung der Dörfer, indem der Verkehr auf die Autobahn umgeleitet wird.

Die Au­to­bahn­geg­ne­r*in­nen sehen in dem Camp mehr als den Versuch, eine Autobahn zu verhindern: „Das Camp bietet auch den Ort für ein anderes Leben“, erklärt Herbst. Konkret bedeutet das: Es gibt keine Hierarchien. Entscheidungen fallen im Plenum, dort werden auch Aufgaben verteilt. Es wird für alle gekocht und zusammen gegessen. Sie wollen ein Leben führen, dass nachhaltig ist und bei dem nicht alles von Geld abhängig ist.

Die Lebensmittel sind gerettet, das Baumaterial wurde andernorts aussortiert. Die Wohnwagen gehören zu den wenigen gekauften Dingen im Camp. Da der Winter in einem Moorgebiet nicht nur kalt, sondern auch sehr windig und nass ist, wollten die Be­woh­ne­r:in­nen für das Übernachten zumindest ein klein wenig Schutz.

Wie es weitergeht, hängt von einer Klage des BUND und eines Bauern gegen den Planfeststellungsbeschluss des ersten Bauabschnitts der A20 ab. Das Bundesverwaltungsgericht will Ende Mai entscheiden. Vorher wird es wohl zu keiner Enteignung kommen – und damit auch nicht zur Räumung.

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