Besuch auf der Berliner Erotikmesse: Im Pornowummerland
Schokoladenpenisse, Sexgöttinnen a.D. und rollstuhlgerechter Männerstrip: Ein Besuch auf der selbsternannten Erotikmesse „Venus“ in Berlin.
Rocco Siffredi guckt mich an, als wäre er mindestens James Bond. In der Hand hält der Weltstar des Porno ein Dingens, das sich als eine Art Massagegerät für Penisse herausstellt, der Satisfyer für Männer, runtergesetzt auf 29,99 Euro. Auf dem Riesenplakat außen am Messeturm, von dem er auf mich herunterlächelt, ist dazu zu lesen: 1.800 Filme, 5.000 Frauen, 1 bester Orgasmus. Es ist Venus. Erotikmesse in Berlin.
Ein einziger Orgasmus bei 5.000 Frauen, und das dann mit einem Plastikfutteral, das wahrscheinlich nicht mal spülmaschinenfest ist. Das sagt eigentlich schon alles. Ein Pornostar, der ein Wichshilfsmittel anpreist. Ziemliche Fallhöhe.
Am Eingang ein handgemalter Zettel: Die World Association of Psychiatrists, die sich offenbar zeitgleich trifft, wird per Pfeil nach links geschickt, eine andere Vereinigung nach rechts. In der Mitte regiert der Sex. Untertanen aber sind noch nicht so viele da, man hat viel Platz. Frauen in Dessous laufen zwischen Männern (und einigen wenigen Frauen) mit Papiertüten herum, die vor allem eins tun: Filmen. Die Rollstuhlfahrerdichte ist hoch, die Messe ist nämlich barrierefrei – wahrscheinlich im Gegensatz zu den meisten Striplokalen.
Stände mit Dessous, Schokoladenpenissen, Sextoys, Vibratoren, die jetzt aber wirklich, wirklich einen sensationellen Orgasmus machen, Silikonpuppen, aber auch Handyhüllen und Lederjacken. An den Ständen sitzen auch ältere Semester, Frauen, die schon etwas aus dem Leim gegangen sind, Sexgöttinnen a.D. mit Brille und Dauerwelle, gähnend. Auf einer Bühne gibt's Vorturnen im Ballett, Brüste zeigen, Hintern hoch, 20 Damen in einer Reihe blicken lasziv in einen Wald von Handykameras.
Über den Blick habe ich mich gerade mit der Frauenbeauftragten von Friedrichshain-Kreuzberg unterhalten, die keine Venus-Plakate auf öffentlichen Plakatwänden sehen möchte: Unterwürfig sei der Blick. Käuflichkeit suggerierend. Ich weiß nicht: Ist ein Blick, der so tut, als wolle eine Frau nun Sex mit mir, unterwürfig? Ich kenne eine Menge Männer, die haben eher ein bisschen Angst vor sexuell offensiven Frauen. Kann man jetzt nicht ausdiskutieren.
Auf der großen Bühne tritt eine Stripschönheit nach der nächsten auf. Eine fängt an mit den Goldberg-Variationen – wer hätte das gedacht?! Aber nachdem der Mantel gefallen ist und den Blick auf perfekt konfektionierte Brüste sowie Spielzeugpistolen freigegeben hat, ertönt dann doch das Pornowummern mit dazugehörigem Gekreisch. Schüsse fallen auf der Tonspur. Der Dame fällt ein, dass sie dazu Schussbewegungen machen muss und sie zielt ins Publikum. Fortan ist sie bemüht, die Bewegungen mit den Schussgeräuschen zu synchronisieren, ohne Erfolg. Applaus bekommt sie, als sie wie ein Schwertschlucker einen Dildo bis zum Ansatz im Hals verschwinden lässt.
Dildo hier rein, Dildo da rein, Lesbennummer. Da wenden sich viele der Kurzhaar-Männergruppen ab, die vorher begeistert applaudiert haben. Lesbennummern scheinen nur für eine Minderheit interessant zu sein. Eine bezaubernde Russin räkelt sich auf dem Bühnenboden, danach klebt allerdings der halbe Belag an ihrem Popo, jetzt machen Sie das mal elegant und sexy weg. Wahre Kunst! Die Dominas im BDSM-Raum sind übrigens schaupielerisch um Klassen besser, da sitzt jede Bewegung der Rute.
Den Männerstrip für Frauen habe ich verpasst, Rocco Siffredi kommt erst morgen – ich blättere am Mojito-Stand noch im Programm, da fällt mir schon wieder so ein rhythmisches Stoßen in der Musik auf. Also, jetzt hät ich gern mal einen Moment keinen Sex im Ohr. Minutenlang geht das so, wann ist denn das Stück zu Ende? Da sehe ich, es ist der alte Mann am Nebentisch, der seinen Strohhalm wie ein Automat immer wieder in das Eis in seinem Plastikbecher stößt. Seine Frau neben ihm bemerkt es kaum.
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