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Archiv-Artikel

Bestgehütetes Geheimnis

Mit wechselnden Bands hat sich Lou Barlow eine treue Fangemeinde erspielt. Leider hat er das Talent, dem großen Erfolg aus dem Weg zu gehen. Mit seinem ersten Soloalbum will er das ändern

VON THOMAS WINKLER

Man kann dieser Tage, wie alle Welt es tut, Conor Oberst und den beiden neuen Produkten von dessen Projekt Bright Eyes huldigen. Das kann man, und es wäre nicht das Schlechteste. Man kann aber auch ein – gleichzeitig zum Bright-Eyes-Doppelschlag – erscheinendes Album namens „Emoh“ erwerben, einem gewissen Lou Barlow lauschen und sich damit auf Spurensuche begeben. Denn Barlow half jenes Genre des Emo-Folks abzustecken, in dem Oberst und die ihm folgende Armee von singenden Jammerlappen mittlerweile ein solides Auskommen finden. Auch deshalb hat Lou Barlow es geschafft, zu einer legendären Figur zu werden.

Dabei ist „Emoh“ Barlows allererstes Soloalbum unter eigenem Namen. Nach nahezu zwei Jahrzehnten im Geschäft steht Lou Barlow, der inzwischen auf die 40 zugeht, zwar einer in Massachusetts lebenden Kleinfamilie vor. Er steht aber auch vor dem finanziellen Ruin, weil er das in dieser Branche wenig hilfreiche Talent besitzt, mit wechselnden Bands stets zum falschen Zeitpunkt den richtigen Ort zu verlassen.

Als Bassist von Dinosaur Jr. war er dabei, als die Grundlagen fürs Millionengeschäft Grunge gelegt wurden; als treibende Kraft hinter Sebadoh erfand er Low-Fi-Indierock, blieb aber immer ein Minderheitenthema; mit Sentridoh entwickelte er Homerecording zum egomanischen Selbsterfahrungstrip; mit The Folk Implosion steuerte er den Großteil des Soundtracks zu Larry Clarks viel diskutiertem Film „Kids“ bei.

Einmal trat er sogar bei „Top of the Pops“ auf und profitierte doch nicht vom Folk-Revival der frühen 90er-Jahre: Zu viele Projekte, zu viele Namen, zu viele Ideen verhinderten, dass Barlow jemals mehr erreichte als eine treue und zuletzt zusehends bröckelnde Fangemeinde. Seine Probleme mit dem Timing sind ihm bewusst: Schon vor Jahren gestand er, nach dem Tode Kurt Cobains gedacht zu haben: „Scheiße, jetzt kann ich das nicht mehr machen. Selbst wenn ich mich umbringe, ist das schon getan worden.“

Statt also mit einem großen Knall abzutreten, zog Barlow lieber nahezu im Verborgenen über viele Jahre hinweg zielsicher eine direkte Linie zur immer betulicher werdenden Innerlichkeit. Die droht dieser Tage zum Mainstream zu werden, während er selbst sich einreiht in die Tradition der von Kritikern geliebten, aber zeitlebens am Existenzminimum operierenden Helden wie Howe Gelb oder Townes Van Zandt. „Ich war an dem Punkt angekommen“, erzählte er unlängst dem Magazin Magnet, „dass ich entweder konsolidiere, was ich habe, oder mit der Musik ganz aufhöre und mir irgendeinen Job besorge.“

So hat sich Barlow nun mit „Emoh“ bewusst vom Modell Band verabschiedet, weil ihn dessen demokratische Struktur, die er jahrelang selbst tapfer aufrechterhielt und verteidigte, zunehmend blockierte. Im Alleingang versucht er jetzt, seine Musik von allen musikalischen Extravaganzen und Experimenten zu reinigen, von allen schrägen Tönen und düsteren Stimmungen, die sie bislang stets als Independent markierten.

Da erinnert der Eröffnungssong „Holding Back the Year“ nicht nur im Titel, sondern auch in der aufgeräumten Stimmung an das nahezu gleich betitelte „Holding Back the Years“ von Simply Red. „The Ballad of Daykitty“ ist ein nur leidlich getarntes Kinderlied und „Caterpillar Girl“ hat das Zeug dazu, den Sommer ins Haus zu holen. Dass er früher widerspenstiger klang, dafür macht Barlow heute vor allem die damals mangelnde technische Ausstattung verantwortlich. Wäre ihm nicht nur ein Kassettenrecorder mit vier Spuren zur Verfügung gestanden, hätte er ausschließlich „verfickt großartige Meisterwerke“ abgeliefert anstatt jener seltsam verschränkten, aber halt auch ungemein liebenswerten Miniaturen.

Vor allem aber hatte Barlow nie die Fähigkeit, sich ein positiv verwertbares Image zuzulegen. Mit Brille, Unfrisur und Ist-mir-doch-egal-Klamotten sieht er heute noch aus, als hätte man ihn vor 20 Jahren in der Küche des Studentenwohnheims abgestellt. Im Vergleich zum hübschen und stets verschlossenen Conor Oberst wirkt er wie ein weniger geheimnisvoller denn unheimlicher Onkel, von dem man nie genau weiß, was er in seiner Freizeit mit dem Trenchcoat so treiben mag.

Da kann seine Musik dieser Tage noch so eingängig und liebenswert daherkommen, da kann er mit freundlichster Stimme „love my tonight“ bitten – Lou Barlow wurde halt nicht zum Star geboren. So wird er wohl sein Leben lang als gut gehütetes Geheimnis gelten.

Lou Barlow: „Emoh“ (Domino/Rough Trade)