Bestattung von Knochenfragmenten: Bitte keine weiteren Untersuchungen

Seit 2015 wurden immer wieder bei Bauarbeiten auf dem Campus der Freien Universität Berlin menschliche Überreste gefunden. Nun wurden sie beigesetzt.

Bei der Beisetzung in Dahlem Foto: dpa

Es war von Anfang an davon auszugehen, dass die Knochen im Zusammenhang mit NS-Verbrechen stehen“, sagt Günter Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin. Auf dem Waldfriedhof Dahlem findet eine öffentliche Trauerfeier und Beisetzung für unbekannte Opfer menschenverachtender und rassistischer Forschung statt. Viele der zahlreichen Anwesenden sind in schwarzer Kleidung erschienen.

Seit 2015 wurden immer wieder bei Bauarbeiten auf dem Campus der Freien Universität Berlin Knochenfragmente gefunden, insgesamt sind es jetzt auch wegen daran anschließender Grabungen von Ar­chäo­lo­g:in­nen 16.000. Eine Arbeitsgemeinschaft aus Forschenden der FU Berlin, der Max-Planck-Gesellschaft und des Landesdenkmalamts Berlin untersuchte die Fragmente wissenschaftlich.

Es wurde schnell klar, dass die Funde von Opfern aus Verbrechenskontexten stammen. Die Knochen lagen auf dem Gelände, wo sich bis 1945 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik befand. An dieses Amt schickte unter anderem der KZ-Arzt Josef Mengele Leichenteile von Häftlingen. Andere Gebeine stammen aus Kontexten deutscher kolonialer Verbrechen in verschiedenen Weltregionen. Es ist wahrscheinlich, dass sie Teil einer anthropologischen oder archäologischen Sammlung des Instituts waren.

„Eine Spezifizierung würde die rassistischen Methoden der Vergangenheit reproduzieren“, sagt Ziegler bei der Bestattung. Nachdem die Ergebnisse im Februar 2021 veröffentlicht wurden, sprachen sich darum mehrere Gruppen dafür aus, die Knochen nicht weiter zu untersuchen und zu bestatten, darunter der Verein Berlin Postkolonial, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und der Zentralrat der Juden in Deutschland.

Es ist nur ein erster Schritt

Dessen Geschäftsführer Daniel Bothman sagt auf der Trauerfeier: „Es ist wichtig, dass die Geschichte der Opfer würdevoll weiter – oder auch zum ersten Mal erzählt wird.“ Eine weitere Rednerin ist Dotschy Reinhardt vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. „Aus Präparaten wurden Beweise der ­Nazis, Mitarbeiter des Instituts taten ihr Möglichstes, um Spuren zu verwischen. Darum ist es heute wichtig, jener zu gedenken, die durch Gewalt rassistischer Forschung zu Tode kamen.“

Die Beisetzung ist dafür ein erster Schritt. Sie findet absichtlich ohne religiöse Gepflogenheiten statt. Nach fünf Redebeiträgen spielen eine Pianistin und ein Cellist Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“. Dann tragen zehn Sargträger die fünf Holzkisten mit den Knochen zu einer Grabstätte. An den Fundorten der Knochen auf dem Universitätscampus soll ab 2024 eine Dauerausstellung zu den Verbrechen im Namen der Wissenschaft erinnern. Zudem wird an der Grabstätte eine Informationstafel angebracht.

Wer gern zu Wort gekommen wäre, dazu aber keine Chance hatte, ist Israel Kaunatjike. Er ist Herero-Nachfahre und möchte, dass die deutsche Regierung Verantwortung für ihre Kolonialverbrechen im heutigen Namibia übernimmt. „Ich bin frustriert, weil keiner aus der Black Community gesprochen hat“, sagt er. Das Projekt an sich findet er trotzdem gut. „Ich bin zufrieden, bei dem gemeinsamen Mahnmal waren wir auch beteiligt. Ich bin da, um Präsenz zu zeigen und Trauer, damit man sich erinnert, egal in welcher Art. Auch meine Vorfahren waren Opfer.“

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