Bespitzelung-Skandal bei Lidl: Hauptsache Arbeit!
Der Discounter Lidl behandelt seine Mitarbeiter nicht nur schlecht, er lässt sie fürsorglich auch bespitzeln. Eine Ausnahme - oder folgt dem flexiblen Arbeitsmenschen nun der überwachte?
Das System Lidl hat mal wieder ein Problem. Erst war es das "Schwarzbuch Lidl", dann das "Schwarzbuch Lidl Europa". Der jüngste Skandal: Die umfassende Bespitzelung von Angestellten, ausgeführt von privaten Dedekteien.
Das System Lidl besteht unter anderem aus 7271 Lidl-Märkten und gehört dem "Discounter Paten" (FAZ) Dieter Schwarz, dessen Besitz auf rund zehn Milliarden Euro geschätzt wird. Anders als den seinerzeit bereits insolventen Erich Honecker, Oberhaupt eines anderen Systems, sieht man den Paten nie auf Veranstaltungen oder Kundgebungen. Und anders als damals in der DDR ist es nicht die Evangelische Kirche, die den Geknechteten des Systems Unterschlupf zu gewähren sucht, sondern die Gewerkschaft Verdi: "Das System Lidl leistet einen Offenbarungseid" verkündete die Verdi-Bundesvorsitzende Margret Möning-Raane. Verdi ringt schon seit Jahren mit dem Discounter-Riesen, fordert die Einrichtung von Betriebsräten, es gibt derer bislang genau sechs, und den Abschluss von Tarifverträgen - jetzt erst recht.
Doch die andere Seite, das System, verteidigt sich mit allen Mitteln. Es versucht "die Kröten" - Arbeitgeberjargon für Arbeitnehmer - in Schach zu halten. Wie das Manager Magazin aufdeckte, ist das Leben selbst für höhere Angestellte bei Lidl nicht so komfortabel wie die Sitze ihrer Dienswagen: Das Arbeitsleben bei Lidl gleiche einem militärischen Ausbildungslager. Und natürlich werden in militärischen Zusammenhängen Geheimdienste eingesetzt.
Dem Magazin Stern ist es nun zu verdanken, dass Teile dieser Bespitzelungsprotokolle veröffentlicht wurden: "Frau N. ist an beiden Unterarmen tätowiert, diese sehen jedoch mehr nach 'Marke Eigenbau' aus, für, insbesondere ältere Kunden, könnten diese auch als Gefängnis-Tätowierungen gedeutet werden. Man sollte Frau N. anweisen, die Unterarme während der Arbeitszeit, insbesondere an der Kasse, bedeckt zu halten".
Was sind das für Leute, die in diesen Detekteien arbeiten? Ex-MFS-Offiziere oder doch eher Ex-Arbeitslose Absolventen des Studiengangs Ethnologie? Die Protokolle bieten nur einen schemenhaften Einblick in ihre Psyche. Als ob ihre Aufgabe nicht schon schwer genug wäre - herumliegende Gegenstände im Lager machen es ihnen fast unmöglich, zwecks Anbringung ihrer Überwachungskameras die Dachluken zu erreichen - ist auch noch "der Heizkörper in der Herrentoilette defekt". Dann der "üble Geruch" aus dem Aufenthaltsraum, fast fühlt man sich an Jonathan Littells lakonischen, staunend-distanzierten Blick erinnert: "Seit Mittwoch liegt nun unübersichtlich eine geschlossene Packung ,I love Milka' ganz oben auf den angebotenen Damenbinden."
Die Protokolle gewähren jedoch vor allem einen - durchaus voyeuristisch-stimulierenden - Blick in die Welt jener Menschen, die man sonst nur in Trash-Talkshows oder bei Big-Brother zu sehen bekommt. Lidl-Angestellte mit selbstgemachten Tätowierungen, die sich laut Protokollen nicht die Hand vor den Mund halten, wenn sie niesen und wie "Frau C. und Frau S." keine Lust auf eine Schulung in Braunschweig haben.
Wer hätte das schon. Aber die Protokollierten müssen. "Fordern und Fördern". Sie sind Repräsentanten der Agenda 2010 auf dem Stand des Jahres 2008. Sie müssen sich Geld auf Geringerverdiener-Basis dazuverdienen und froh sein, überhaupt eine Stelle im System gefunden zu haben. Fordern und Fördern - Gängelung und Überwachung sind sie schon von der Bundesagentur für Arbeit gewohnt.
So liegt unter dem Skandal der Bespitzelung ein weiterer: Der Inhalt der Protokolle. Etwa ein belauschtes Telefongespräch einer Mitarbeiterin die sich gerne für den Abend mit einer Freundin zum Kochen verabreden würde, aber sich nicht sicher ist, ob sie genug Geld zum Einkaufen auf ihrem Konto hat.
Wir sind eben das Volk. Und wir wollen billige Bio-Bananen und Prosecco für 1.59 Euro. Leider haben die Stasiprotokolle selbst dem System DDR gar nichts genützt: Die Informationen mündeten nicht in Reformen und es ging unter.
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