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Besoffen in Christi

■ Hamburger Filme über „Jesus Freaks“ und Mittelstadt-Monstern

„Laß uns einen Test machen, ob es Gott gibt“, schlägt ein erregter junger Mann im Offenen Kanal vor. Die diesen Aufruf rahmende Sendung von und mit den „Jesus Freaks“ machte den Schriftsteller Kai Klausner und den Filmer Henrik Penschel auf eigene Art „betroffen“, und sie wühlten sich für ihre Dokumentation Breit vom heiligen Geist ins Thema „Jesus Freaks“.

Die in St. Pauli auf den Straßen enthusiastisch praktizierenden „Jesus Freaks“ legen Verhaltensweisen an den Tag, die sich sonst kaum lange im Leben einer Metropole halten: Feurigkeit und Weltfremdheit im Zeichen der lebensgeil machenden Dreifaltigkeit. Von diesen Menschen läßt sich nicht sagen, ob sie wohl eine „Meinung“ zur neuesten Platte von Nirvana haben. Doch aus einem simplen Musik-Instrument basteln sie sich den Stoff für ihre Anekdoten im Geist des Neuen Testaments ab: Ein langhaariger, 19jähriger Christfideler erzählt davon, wie er zunächst seine Gitarre an einen Bedürftigen verschenkte, und kurz darauf eine wundertätige Hand das Geld für eine neue Gitarre auf sein Konto einzahlte. Der Lebensentwurf seiner Freunde und Freundinnen beinhaltet die Einsicht, daß die Musik der Speed Metal-Band Slayer einen „schlecht drauf kommen“ läßt, die Musik von Pink Floyd aber wohlige, ganzheitlichkeitsfördernde Stimmung verbreitet.

Für den einen „Jesus-Freak“ ist Punk und Christus gleich „radikal“, ein anderer fühlte sich jahrelang „verschlickt in Drogen“ und ein dritter vollendet beider Biographie, indem er pralles Glück als derzeitige Normalbefindlichkeit angibt. Metaphysik löste bei Letztgenanntem erst den Weingeist ab und erhielt dann als heilig-heilsame Ersatzdroge den neuen Namen: „Breit vom heiligen Geist“. Fassungslos haben Peschel und Damkowski mit der Kamera draufgehalten und Aufnahmen gemacht, deren Dramatik kein Schnitt und kein Drehbuch erhöhen mußte. Jeder Satz dieser „Jesus Freaks“ muß beiden wie eine Überrumpelung erschienen sein.

Witz und Abgrund einer durchschnittlichen Mittelstadt zeigt Rudi Ruhrs Film A life in the Day of New Munster. Das zurechtakzentuierte Deutschamerikanisch eines Reiseführers aus dem Off führt durch den Ort. Die Erläuterungen sollen Sympathie für seine Atmosphäre im Jargon eines Reisekatalogs wecken. Buhr hat die Plätze gefilmt, die jedem bekannt und ein Graus sind, der mal einige Zeit in Schleswig-Holstein zugebracht hat. Der sonst noch mit der Rockgruppe Helgoland ausgelastete Bassist verfügt über ein großes Talent: Der Einfallsreichtum Max Goldts, die Paranoia des ehemaligen Dead-Kennendy-Chefs Jello Biafra und die Gewalt des Klinkerbaus sind ihm mehr als bekannt. Buhrs Film zeigt, wie es aussehen könnte, wenn ein Kulturschock implodiert.

Kristof Schreuf 13., 14., 20. April: 3001; 17. April: Alabama, 21. April: Roten Flora

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