■ Keine zentrale Trauerfeier: Beschämender Unwille
Berlin sei eine türkische Stadt, und er sei froh darüber, erklärte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen. Das war allerdings vor vierzehn Tagen bei seinem Besuch in Istanbul. Am Bosporus gebärdete sich Diepgen als der Bürgermeister einer türkischen Großstadt an der Spree und versicherte, die Berliner türkischer Herkunft seien voll in die Entwicklung der Stadt integriert. Mit dem hiesigen Hausgebrauch haben solche vollmundigen Erklärungen in der Ferne indes wenig gemein.
Es ist jedenfalls beschämend, daß die Senatskanzlei in einer Stadt mit 140.000 türkischen BewohnerInnen nicht in der Lage ist, eine zentrale Feier zeitgleich zum Staatsakt zu organisieren. Es wäre eine wichtige Geste gewesen, daß deutsche und türkische Berliner gemeinsam trauern. Deutsche hätten damit zugleich deutlich machen können, daß sie sich ihrer Verantwortung für die Morde in Solingen stellen und zugleich willens sind, alles für ein friedliches Zusammenleben zu tun.
Offenbar bestand in der Senatskanzlei an einer solchen öffentlichen Trauerfeier nicht einmal ein Interesse, so jedenfalls muß man die wortkarge Antwort auf die Nachfrage wohl deuten. Erklärbar ist die Ignoranz nicht einmal mit der Abwesenheit des Regierenden Bürgermeisters: Diepgen wurde bereits letzte Nacht von seiner Visite in Warschau zurückerwartet. Auch an technischen und organisatorischen Problemen wäre eine solche Veranstaltung nicht gescheitert. Wie man in der Kürze der Zeit eine solche Veranstaltung realisieren kann, wenn nur der Willen dazu vorhanden ist, demonstriert jedenfalls der Bezirk Kreuzberg. Das ist wohltuend – für die Stadt aber ist es nur die zweitbeste Lösung. Gerd Nowakowski
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