Beschäftigungsmodelle bei BMW: In der Leiharbeiterfalle
Bis 2015 wollte BMW die Zahl seiner Zeitarbeiter halbieren. Stattdessen wächst ihr Anteil – und der Konzern macht Rekordgewinne.
MÜNCHEN taz | Es war ein Abkommen, das nicht nur für die Automobilbranche Signalwirkung haben sollte: Im November 2012 hatte sich BMW in einer Betriebsvereinbarung verpflichtet, die Leiharbeiterquote von damals rund 15 Prozent bis zum Jahr 2015 in den deutschen Standorten auf acht Prozent zu reduzieren. Die Quote soll auf den Durchschnitt des Gesamtjahres gerechnet werden und gilt im Durchschnitt aller deutschen Standorte.
Ein bemerkenswerter Schritt: Bislang haben sich nur sehr wenige deutsche Unternehmen zu einer Begrenzung der Leiharbeit verpflichtet – so etwa der Flugzeughersteller Airbus, der Textilhersteller Triumph oder Daimler. Beim Stuttgarter Autokonzern gilt schon heute eine 8-Prozent-Quote.
Doch die BMW-Belegschaft könnte sich zu früh gefreut haben. Denn nach Recherchen der taz kommt der bayerische Autokonzern beim Abbau der Leiharbeit bislang nicht voran. Im Gegenteil: Allein an den vier größten BMW-Standorten München, Dingolfing, Leipzig und Regensburg (samt Werk in Wackersdorf) sind Arbeitnehmervertretern zufolge derzeit etwa 15.000 Zeitarbeiter beschäftigt. Hinzu kommen noch Leiharbeiter in den restlichen drei Werken sowie den Niederlassungen des Konzerns.
Ihnen standen Ende vergangenen Jahres nach BMW-Angaben deutschlandweit etwas mehr als 75.000 Festangestellte sowie knapp 3.800 Auszubildende des Autobauers gegenüber. Die Leiharbeitsquote dürfte demnach bei mindestens 16 Prozent liegen. Auch aus dem Unternehmensumfeld heißt es, die Quote sei seit November 2012 mitnichten gesunken. BMW äußert sich offiziell nicht zur Zahl seiner Zeitverträge.
Exzellente Absatzzahlen
Noch Ende Februar 2012 hatte die IG Metall deutschlandweit die Gesamtzahl der Leiharbeiter beim Fahrzeugbauer gerade einmal mit etwa 11.000 angegeben. Hauptgrund für den seither erfolgten rasanten Anstieg der Zahlen sind die exzellenten Absatzzahlen des Premiumherstellers: Die Münchner setzten sowohl 2012 als auch im vergangenen Jahr mehr Autos ab als jemals zuvor in ihrer Firmengeschichte. Weltweit verkaufte der Konzern 2013 knapp zwei Millionen Wagen und machte allein in den ersten neun Monaten einen Gewinn von mehr als vier Milliarden Euro. In diesem Jahr läuft das Geschäft bislang ebenfalls prächtig.
Die Zahl der Festangestellten und Lehrlinge in Deutschland wuchs als Folge laut BMW allein von November 2012 bis Ende 2013 um 1.400. Zugleich setzt der Münchner Konzern jedoch auf eine wachsende Zahl von externen Kräften. So wurden etwa im bayerischen Dingolfing jüngst viele zusätzliche Leiharbeiter eingestellt. Deren Zahl sei im Vergleich zu 2012 um etwa 500 auf derzeit mehr als 4.200 gestiegen, heißt es aus dem dortigen Betriebsrat. Ihnen gegenüber steht eine Stammbelegschaft von etwa 18.600 festangestellten Mitarbeitern.
Demnach wären gut 18,4 Prozent der Mitarbeiter am Standort Dingolfing über eine Zeitarbeitsfirma beschäftigt. „Deren Anteil an der Gesamtbelegschaft ist damit sogar weiter gestiegen“, ärgert sich ein Arbeitnehmervertreter. Er rechnet auch für das laufende Jahr mit zusätzlichen Leiharbeitern, falls die Autoproduktion an dem Standort, wie zu erwarten, weiter hochgefahren werde.
Anstieg trotz Übernahme
Am wichtigsten BMW-Standort in München waren im September 2013 gut 7.000 Leiharbeiter beschäftigt. Das geht aus einer der taz vorliegenden Anfrage eines Betriebsrats an den Konzern hervor. Seither hat BMW laut Arbeitnehmervertretern zwar einige hundert Leiharbeiter übernommen. Insgesamt sei deren Zahl seit Herbst 2012 jedoch weiter gestiegen. „Bislang tut BMW einfach zu wenig, um das Ziel einer deutlichen Reduzierung zu erreichen“, schimpft ein Münchner Betriebsrat. Er geht davon aus, dass derzeit dort etwa 6.500 Leiharbeiter arbeiten. Gleichzeitig hat BMW dort fast 37.000 Festangestellte.
Noch stärker auf Zeitarbeit setzt der Autokonzern in seiner Regensburger Produktionsstätte. Fast 3.000 Leiharbeiter sollen dort Arbeitnehmervertretern zufolge einer Stammbelegschaft von zuletzt offiziell gut 8.900 Beschäftigten gegenüberstehen.
Aus Arbeitgeberkreisen hieß es dagegen, die tatsächliche Zahl der BMW-Leiharbeiter sei knapp ein Viertel geringer. Nur wenn man auch die auf Basis von Zeitarbeitsverträgen ausschließlich für BMW tätigen Mitarbeiter von Fremdfirmen hinzurechne, komme man auf gut 3.000 solcher Jobs. Über das ganze Jahr 2013 hinweg wurden in Regensburg, wie es aus dem Unternehmensumfeld heißt, lediglich 300 Leiharbeiter fest übernommen.
Leiharbeit in Leipzig
Besonders hoch ist der Anteil der Arbeiter zweiter Klasse traditionell in der Leipziger Fabrik: Ende November 2013 ging der dortige Betriebsrat von 1.500 Leihkräften direkt bei BMW aus. Derzeit arbeiten dort dem Konzern zufolge 4.200 festangestellte Mitarbeiter.
Der Unmut unter den Belegschaftsvertretern wächst deshalb vielerorts. Dass BMW die vereinbarte Zielmarke im kommenden Jahr erfüllen könne, sei angesichts der nach wie vor hohen Leiharbeitsquote schlicht „unrealistisch“, sagt ein hochrangiger Betriebsrat. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse der Autobauer endlich „im großen Stil Leiharbeiter übernehmen“. Danach sehe es jedoch nicht aus. „BMW zeigt offenbar keine Anstalten, die Zeitarbeit zu reduzieren. Stattdessen geht die Entwicklung in die andere Richtung“, sagt auch ein anderer Betriebsrat eines großen bayerischen Werks.
Ein Sprecher des Fahrzeugbauers versichert dagegen: „Wir planen keinen vermehrten Einsatz von Zeitarbeitskräften, sondern stellen fest ein, wenn sich die Möglichkeit bietet.“ So seien beispielsweise allein im Jahr 2012 in Leipzig 400 neue Mitarbeiter eingestellt worden. Die Hälfte von ihnen seien vorher Zeitarbeitskräfte gewesen.
Zeitarbeit als „Flexibilisierungsinstrument“
Der Sprecher betont die Bedeutung von Leiharbeit als „Flexibilisierungsinstrument“. Der Einsatz von Zeitarbeitskräften in Zeiten hoher Nachfrage ermögliche, „dass wir noch mehr Menschen eine nach Metalltarif und damit in der deutschen Wirtschaft mit am höchsten bezahlte Beschäftigung bieten können.“
Tatsächlich erhalten Leiharbeiter bei BMW – anders als bei vielen Konkurrenten – immerhin das gleiche Grundgehalt wie die Stammkräfte. Ob sie jedoch Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bekommen, hängt vom guten Willen der Verleihfirma ab. Zudem sind die Mietkräfte von der üppigen BMW-Gewinnbeteiligung ausgeschlossen. So erhielt etwa ein Facharbeiter aus der Stammbelegschaft für das Geschäftsjahr 2012 einen Bonus von 7.630 Euro.
Darüber zu sprechen, was Ende 2015 sein werde, sei „Spekulation“, sagt der BMW-Sprecher. Er verweist jedoch darauf, dass der Autobauer, wenn es etwa die wirtschaftliche Entwicklung erforderlich mache, gemäß der Betriebsvereinbarung auch von der 8-Prozent-Grenze abweichen könne. Dann gelte eine verbindliche Quote von maximal 12 Prozent. Doch auch diese Grenze wird Arbeitnehmervertretern zufolge für den bayerischen Autobauer nur schwer zu erreichen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“