Beschäftigte bei Windanlagenbauern: Windkraft mit Tarif
Ökologisch waren Windanlagenbauer schon immer. Nun werden sie auch sozial. Enercon, einer der vier größten, sträubt sich aber noch.
![Ein halbes Rotorblatt einer Windkraftanlage liegt im Querschnitt in einer Halle Ein halbes Rotorblatt einer Windkraftanlage liegt im Querschnitt in einer Halle](https://taz.de/picture/1578816/14/48756858.jpeg)
Als hilfreiche Methode hat sich dabei herausgestellt: „Zuhören, welche Anliegen die Beschäftigten selbst formulieren“, sagt Mahler – etwa die Toilettensituation. Ihre Kampagne in der Windkraftindustrie betreibt die IG Metall seit 2010 mit großem Aufwand. Es geht um die Rechte der Beschäftigten in einer neuen Branche. Und es geht um die Verhandlungsmacht der Gewerkschaft, die in traditionellen Industrien Mitglieder verliert. Dagegen ist die Zahl der Mitarbeiter in der deutschen Windkraftbranche inzwischen auf etwa 150.000 gestiegen.
Vor zehn Jahren sah es bei den Windfirmen meist so aus: Wenn es überhaupt Betriebsräte gab, kuschelten diese mit den Firmenleitungen. Tarifverträge? Fehlanzeige. Beschäftigte, die aufmuckten, wurden gerne mal entlassen. Die altertümlichen Verhältnisse innerhalb vieler Betriebe standen im Gegensatz zu dem guten Ruf, den die Ökoindustrie in der Öffentlichkeit genoss.
Mittlerweile ändert sich die Lage. Bei Senvion, einem der vier großen Anlagenbauer in Deutschland, wurde ein Tarifvertrag abgeschlossen, der Verdienste und Arbeitszeiten regelt. „Der größte Erfolg bisher“, sagt Mahler. Bei Vestas in Husum hat die Gewerkschaft inzwischen die Mehrheit im Betriebsrat. Das Unternehmen scheint auf dem Weg zum Tarifvertrag. Fortschritte gibt es auch bei Nordex.
Tarifverträge haben vielfache Vorteile
Eine Sonderstellung unter den großen vier nimmt dagegen Enercon ein. „Einen normalen Umgang mit Betriebsräten unserer Gewerkschaft will die Firmenleitung nicht akzeptieren“, sagt Meinhard Geiken, IG-Metall-Chef des Bezirks Küste. Vor zwei Jahren versuchten die Enercon-Manager erfolglos, einem Betriebsratsvorsitzenden der IG Metall zu kündigen. Das Unternehmen in Aurich pflegt eine patriarchale Firmenkultur. Fortschritte in Richtung zeitgemäßer Arbeitsverhältnisse schaffen die Beschäftigten nur im Schneckentempo.
Dass es zu Veränderungen kam, hat laut Susanne Uhl vom DGB in Schleswig-Holstein vor allem einen Grund: „Die Fortschritte bei der Mitbestimmung in den großen Windkraftfirmen erzielte die IG Metall durch ihre Organisationskampagne.“ Bei Vestas beispielsweise hatte die Gewerkschaft anfangs nur ein Dutzend Mitglieder. Heute lassen sich einige Hundert von insgesamt 1.500 Arbeitnehmern durch die IG Metall vertreten.
Stephan Kallhoff vom Arbeitgeberverband Nordwindaktiv schätzt die Wirkung der Kampagne ähnlich ein. „Die Entwicklung kommt zustande, weil die IG Metall Druck gemacht hat.“ Allerdings fügt er hinzu: „Auch die Unternehmen sehen Vorteile in partnerschaftlichen Verhältnissen.“ Die Manager wollen Ruhe haben und sich nicht ständig vor dem Arbeitsgericht streiten müssen, was negative Schlagzeilen produziert.
Transparent geregelte Verdienste, Arbeits- und Urlaubszeiten bringen aber noch zusätzliche Vorteile. „Der Tarifvertrag kann für Unternehmen ein gutes Argument darstellen, um qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen“, so Kallhoff. Das spielt in einer Zeit, in der technische Fachkräfte zunehmend knapp werden, eine große Rolle. IG-Metall-Organizer Mahler berichtet, dass es Senvion öfter gelinge, Techniker aus anderen Windkraftfirmen abzuwerben. Den Ausschlag gebe die im Tarifvertrag geregelte höhere Bezahlung.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben