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Beruf: Leser

Als „eigenes literarisches Genre“ hat der konservative Octavio Paz seinen jüngeren Kollegen Carlos Monsiváis einst bezeichnet. „Es ist die Sprache eines Straßenjungen aus Mexiko-Stadt, eines hochintelligenten Jungen, der alle Bücher gelesen hat, alle Comics und alle Filme gesehen hat.“

Damit sind Werdegang und Arbeitsweise des Autors tatsächlich grob skizziert. Der Sohn einer protestantischen Mittelschichtsfamilie wurde 1938 geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre im berüchtigten Stadtviertel Guerrero. Nach der Trennung der Eltern zog der Fünfjährige mit der Mutter in jene Heimstatt um, in er der bis heute residiert.

Schon seit frühesten Jahren umgibt sich das Einzelkind mit Büchern. Nach ein paar Semestern bricht er das Studium der Philosophie und Literatur ab, und von nun an akkumuliert der junge Carlos sein Bildungskapital nach eigenem Gusto. Etwas anderes als Lesen und Schreiben habe er für sein Leben nie ernsthaft in Betracht gezogen, wird er später notieren.

Im ersten Entwurf einer Autobiografie, die er 28-jährig verfasst, heißt es: „Meine Laufbahn in der Leichtathletik im Staffellauf wurde jäh unterbrochen, als ich die Staffel eines Tages einem Mitglied der gegnerischen Mannschaft übergab.“

So ist Monsiváis ein Selfmadeintellektueller. Während es in Lateinamerika üblich ist, dass prominente Denker von der Kulturbürokratie mit Pöstchen, Preisen und Stipendien versorgt werden, hat er kaum offizielle Auszeichnungen erhalten und sein ganzes Leben keine feste Anstellung gehabt.

Welchen Beruf er ausübt, ist schwer zu sagen. Essayist mutet zu prätentiös an, Kulturjournalist wäre eine grobe Untertreibung, Chronist klingt etwas staubig nach Berichterstatter, und Dichter oder Romancier wäre schlicht unzutreffend. Er selber bezeichnet sich zuweilen, in typisch ironischem Understatement, als „Berufsleser“.

Die tägliche Ration an Gedrucktem sind fünf Tageszeitungen, ein paar internationale Periodika über das Internet und etwa zweihundert Buchseiten – „oder 150 Seiten, wenn ich noch einen Film ansehe“.

Entsprechend hoch ist der Output: Neben unzähligen Essays in Tageszeitungen, Sammelbänden und Kulturzeitschriften sind seit 1970 über ein Dutzend Bücher von Carlos Monsiváis zu allen erdenklichen Aspekten von Kultur erschienen.

Darunter Standardwerke über Kino und Literatur, Chroniken ‚typisch‘ mexikanischer Politik und Kultur („Amor Perdido“, 1976), über zivilgesellschaftliche Mobilisierung („Entrada Libre“, 1987), das Liebesleben der Mexikaner („Escenas de pudor y livianidad“, 1988) oder auch Phänomene der lateinamerikanischen (Post-)Moderne („Aires de Familia. Cultura y sociedad en América Latina“, 2000).

Für den letztgenannten Band erhielt er 2000 in Barcelona den internationalen Essaypreis vom Verlag Anagrama. Ein deutscher Verlag kann sich für den Maestro bislang offenbar nicht so recht erwärmen: Zwar ist seit Jahren gerüchteweise von einer baldigen Veröffentlichung beim Frankfurter Suhrkamp-Verlag die Rede – bis heute liegt Spanischunkundigen jedoch kein einziger der Monsiváis-Bände in deutscher Übersetzung vor.

ANNE HUFFSCHMID

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