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■ Der Spieler Effenberg muß seine Koffer packenBerti in Panik

War's die Hitze? War's der Lagerkoller? Oder war's ein Blackout? Der Rauswurf von Stefan Effenberg aus der deutschen Nationalmannschaft muß jedenfalls andere Gründe haben als ein Richtung Publikum erhobener Mittelfinger. Was jeder Autofahrer in jeder deutschen Kleinstadt zehnmal am Tag praktiziert, soll plötzlich für eine Sperre auf Lebenszeit ausreichen? Soll der Grund dafür sein, daß DFB-Chef Egidius Braun vor Empörung schäumt und den Untergang Deutschlands beschwört?

Aber so sind sie. Wenn Lothar Matthäus auf dem Münchner Oktoberfest einem niederländischen Besucher zu verstehen gibt, daß Adolf ihn beim Vergasen leider vergessen habe, dann bleibt es bei einer „Aussprache“ mit dem Kapitän der Nationalelf. Wenn der gleiche Spieler auf dem Flughafen einer Gruppe von Volleyballerinnen beredt über die Schwanzlänge seines kolumbianischen Mitspielers Valencia Auskunft gibt („der hat sooo einen langen“), vermag dies seine Stellung als Leitwolf der Nationalelf ebenfalls nicht zu erschüttern. Aber jetzt der Mittelfinger von Effe. Von Obszönität ist die Rede, von Entgleisung und einem Delikt, das offenbar so kriminell ist, daß es die Medien nicht einmal beim Namen nennen wollen. Effenberg habe eine „obszöne Geste gezeigt“, heißt es schamhaft kaschiert.

Der Rauswurf Effenbergs zeigt vor allem eines: die Jungs sind fertig, die Nerven liegen blank, die Angst geht um. Nach der blamablen Vorstellung der deutschen Mannschaft ist dies verständlich. Mit dieser Leistung und mit diesen Spielern ist der WM-Titel nicht zu verteidigen. Diese Einsicht muß sich in die Hinterköpfe eingenistet haben. Sie ist für die Panikreaktion verantwortlich. Wer die Fußballkünste von Brasilien, Argentinien, Belgien und Holland gesehen hat und wer sich dann die Mannen um Matthäus gegen Südkorea angetan hat, der muß es in der Tat mit der Angst zu tun kriegen. Vor allem wenn er Bundestrainer oder DFB-Präsident ist und damit für das zu erwartende Desaster verantwortlich.

Nach der Opferung Effenbergs soll jetzt eiserne Disziplin im DFB-Lager einkehren, sollen alte deutsche Tugenden beschworen werden. Ob das ausreicht, um das Viertelfinale zu erreichen?

Wer den Rauswurf Effenbergs kritisiert, gerät automatisch in den Verdacht, den Florentiner zu verteidigen. Und das ist das eigentliche Dilemma: Man hat es in Sachen Vogts, Braun und Effenberg mit einer solchen Bündelung von Dumpfnasen, bigotten Scharfrichtern und eitlen Millionärsbübchen zu tun, daß sich eigentlich jede Parteinahme verbietet. Deshalb und nochmals ausdrücklich: In Richtung Chicago gibt es von dieser Stelle kein Mitgefühl, sondern nur noch eines – für die ganze Bagage den erhobenen Mittelfinger. Manfred Kriener

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