STANDBILD: Berstend gezügelte Erotik
■ "Die Zeugin", Mo., 15.10., 20.15 Uhr
Liebe und Leidenschaft im ZDF- Krimi — erste Irritation: Die weibliche Hauptrolle ist nicht mit Gudrun Landgrebe besetzt. Zweite Irritation: Die männliche Hauptrolle nicht mit Helmut Zierl oder gar Hannes Jaenicke. Dritte Irritation: ZDF-Liebe ist nicht triefäugiger Blick bei sägender Musik.
Und jetzt muß es heraus: Ein Klasse-Fernsehspiel hat uns von hinten durchs Herz ins Auge überrascht: Drehbuch (Hartmann Schmige) von wortkarg knisternder Intelligenz; Regie (Michael Lähn) von kinohafter Eleganz; Hauptdarsteller (Babett Arens und Horst Günther Marx) von einer berstend gezügelten Erotik, die man sonst nur aus Filmen kennt. Und nur aus Filmen auch kennt man das stöhnende Entsetzen, das einen packt, wenn die Gerechtigkeit, die biedere Erdenmacht, über die Liebe zweier Verrückter siegt. Es kann nicht gutgehen, wenn Barbara, die frisch geschiedene, recht unscheinbare, durchs Leben schleichende Frau, zur Zeugin eines Raubüberfalls wird und sich in den daran beteiligten Ganoven Achim erst zögernd, dann wild verliebt. Es kann nicht gutgehen, weil sich der dicke Kommissar (Christian Doermer) — „ich habe meine Phantasie im Lauf der Jahre an die Realität angepaßt“ — an diese Liebe heftet, die sich triebhaft entwickelt unter der Verfolgung, bis sie in einem neuen Raubüberfall explodiert; diesmal von Barbara hysterisch-zielstrebig angezettelt. Nein, gutgehen kann es nicht, das weiß man von Anfang an, aber „wir müssen weiterspielen“, sagt Barbara zu Achim, und das heißt: Spiel mit dem Feuer, Spielen mit Geld um Geld, Spielen bis zum Verlieren und Verbrennen.
In jeder Sekunde dieses Fernsehspiels spürt man die Vibration von aussichtsloser Leidenschaft, spürt man, wie zwei Verlierer verzweifelt zu gewinnen suchen. Und während der kleinkriminelle Achim allmählich müde wird, sich stellen will, hat Barbara längst die Grenze überschritten und zieht jetzt ihn dahin, wo die Liebe nur noch mit Kriminalität zu schützen ist. „Was ist Erfahrung?“, fragt sie ihn. „Alles, was wehtut“, erwidert er.
Es tut verteufelt weh dabei zuzusehen, wie diese Liebe das Leben der beiden sprengt, wie dieses Fernsehspiel den kleinen Bildschirm platzen läßt. Und erst nachdem der unbarmherzige, gefühlsentleerte Kommissar im Halbschatten das Paar gestellt hat, genau in dem Moment, als das Ende so trügerisch glücklich wie unabweislich böse ist — da reibt man sich fassungslos die Augen beim Blick aufs Logo: Tatsächlich — das ZDF. Es ist übers kleinliche Fernsehspiel hinausgewachsen. Sybille Simon-Zülch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen