Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Gezwungen zur Missionarsstellung
Meine Tochter umarmte mich, dass mir die Luft wegblieb. „Das ist mein Papa!“, rief die Siebzehnjährige, „kaum angekommen, und er hat mir schon ein schlechtes Gewissen gemacht!“ Wir waren gerade für eine Woche Winterurlaub in Graubünden gelandet (mit Bahn und Postbus!) und bewunderten meterhohen Schnee und kilometerhohe Berge. Und dann hatte ich nur gesagt: „Ihr fahrt mal Abfahrt morgen, bis die Knie schmerzen. Ich nehme meine Langlaufski und skate hier unten, bis die Lunge quietscht.“
Nur das. Kein Wort darüber, wie der Skizirkus die Berge versaut, wie Sechserlifte die Einsamkeit zerstören, wie Bagger im Sommer die Carving-Pisten planieren und auf den „einsamen Berghütten“ Rambazamba mit DJ Ötzi herrscht. Ich hatte nicht mal angedeutet, dass dieses fossile System die Atmosphäre aufheizt und dem Wintersport den Garaus macht. Ich hatte nur gesagt: „Ihr seid Skifahrer. Ich bin Skiläufer.“
Aber das reicht offenbar schon, um anderen den Spaß zu verderben. Wer den Quatsch nicht mitmacht, formuliert einen stummen Vorwurf. Autofahrer jammern über den Stau? Wir nutzen S-Bahn und Fahrrad, wage ich in solchen Diskussionen zu sagen. Beliebt mache ich mich damit nicht. Freunde planen ihren Urlaub – ich erwähne, dass ich nicht ins Flugzeug steigen will. Und ernte betretenes Schweigen. Wer bei Tisch sagt, er sei Vegetarier, kann mit einem Vortrag rechnen, wie nötig die Viehhaltung sei, um die Kulturlandschaften zu erhalten.
Selbst wenn man niemanden bekehren will, wird man in die Missionarsstellung gezwungen. Unbehagen und Wissen sind so groß, dass man nur „Biene“ sagen muss, damit die Menschen „Glyphosat“ hören. Gut, um was zu ändern? Eher nicht. Wer weiß, dass er das Falsche tut, wird vielleicht gerade deshalb aggressiv. Könnte es sein, dass gute Vorbilder das Gegenteil bewirken? Bei den Debatten rund ums Tempolimit kann man schon den Eindruck gewinnen, dass da besonders laut geschrien wird, um die innere Stimme der Vernunft nicht zu hören.
Von wegen Geschrei: Als ich am Ende meiner Loipe vor einer einsamen Hütte mit Talblick in der Sonne sitze und die Ruhe genieße, fällt mir mein schlimmster Albtraum im Skiurlaub ein: Tausende von Abfahrern konvertieren zu Langläufern und verstopfen meine ruhigen Loipen mit Krach und Getümmel. So stelle ich mir die Rettung der Alpenwelt nicht vor. Irgendwann wird man doch wohl die Lifts mit Ökostrom und die Skibusse mit Wasserstoff laufen lassen, die Schneekanonen mit Brauchwasser betreiben, das Jägerschnitzel auf vegan umstellen und die Pisten an die Berge anpassen statt umgekehrt. Dann könnten die Skifahrer uns Skiläufer*innen weiter in Ruhe lassen. Ganz ohne schlechtes Gewissen.
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