Berlusconi und die Deutschen: Demokratie ist, wenn‘s Ergebnis passt
Warum man in Deutschland nicht versteht, was die Italiener an Silvio Berlusconi finden. Und warum das mit dem Euro vielleicht doch keine so gute Idee war.
Der Kapitalismus wird auch immer seltsamer: Früher bestellte das Kapital ein paar Laufburschen in die Regierung, den „geschäftsführenden Ausschuss der Bourgeoisie“, wie es im Kommunistischen Manifest sinngemäß heißt, und fürchtete nichts so sehr, wie dass die Roten die Macht übernehmen könnten. Heute brechen die Börsenkurse in aller Welt ein, weil die italienischen Sozialisten die Mehrheit in einer der beiden Kammern des Parlaments verpasst haben. Demokratie ist, wenn das Ergebnis passt.
Verlass hingegen ist auf deutsche Kommentatoren. Beseelt von der Überzeugung, dass alle Macht vom Leitartikel ausgehe, reagieren sie persönlich beleidigt, weil mehr als die Hälfte der Italiener die Empfehlungen aus Deutschland ignorierend nicht für Programme zur Selbstverarmung (Monti) oder zur Selbstverarmung (Bersani) gestimmt hat, sondern für Grillo und Berlusconi, also für zwei „Klaumak-Künstler“ (FAZ) bzw. „Komiker“ (SZ) bzw. „Clowns“ (Steinbrück). Pressevielfalt ist, wenn alle, inklusive der eigenen politischen Klasse, dasselbe meinen, es aber anders sagen.
Auf immerhin ein bisschen Verständnis dürfen Beppe Grillos Wählerinnen und Wähler, vor allem die vielen jungen unter ihnen, hoffen: die Wut auf das Establishment, die Jugendarbeitslosigkeit, die steigenden Abgaben, ja, da kann man schon mal “leckt mich“ sagen. Für Berlusconis Wähler gilt das nicht. Wie können die nur?, stöhnt man fassungslos. Wie können die nur?
Dafür weiß man zweieinhalb Erklärungen: das Peppone-und-Don-Camillo-Syndrom, also die Angst vor dem Exkommunisten Bersani, vor allem aber der Ärger über die von Merkel aufgezwungene Sparpolitik und die Gehirnwäsche und Verblödung durch Berlusconis Medienmacht. Diese hat demnach etwas Ähnliches geschaffen wie Christopher Hitchens zufolge die Herrschaft der Kims in Nordkorea: eine neue Spezies Mensch. Gefangenen in einem eigenen Kosmos, unerreichbar für die Außenwelt.
ist Redakteur der taz.
Bestimmt (und zu Recht) sind die Italiener sauer auf die deutsche Bevormundung und bestimmt sind sie auch verblödet. Nur sind das die Deutschen auch, wenngleich auf ihre eigene Weise. (Oder wie soll man das sonst nennen, dass ein Volk das Sinken der Reallöhne, also die eigene Verarmung, geduldig hinnimmt, aber wegen ein bisschen Gestrüpp auf einem Bahnhofsvorplatz auf die Barrikaden steigt?)
Einer wie alle
Und vielleicht sind Spardiktat und Medienmacht auch nicht die einzigen Gründe für Berlusconis Comeback. So schmierig und mafiös er auch ist, hat er etwas, das deutschen Politikern fast völlig fehlt: etwas Menschliches, ja Knuddeliges. Berlusconi ist einer, Wolfgang Prosinger hat im Tagesspiegel darauf hingewiesen, der das Leben genießt und nicht alles so bierernst nimmt. Einer, der gerne isst und trinkt und vögelt und sich um eine bella figura bemüht. Ein sonniges Gemüt, das zum Fußball geht und bei der Steuererklärung schummelt.
Berlusconi steht für das gute Leben, welches er auch seinen Wählern verspricht: Wohlstand, Vergnügen, Steuergeschenke. Vermutlich würde er seine Versprechen nicht einlösen, wenn er eine weitere Gelegenheit dazu bekäme. Aber immerhin verheißt er etwas anderes als Graubrot, Graubrot, Graubrot. Berlusconi ist ein bisschen so, wie die Leute selbst sind und noch mehr so, wie sie es selbst gerne wären. Und an Bunga Bunga auf Sardinien ist allenfalls auszusetzen, dass man sich selbst den Spaß nicht leisten kann.
In Deutschland wären Sympathien für so einen undenkbar. Hier gilt: Was ich nicht habe, soll auch sonst keiner haben. Wenn ich schlechten Sex habe, soll sich auch sonst niemand amüsieren. Wenn ich nur einen Pass besitze, sollen die Ausländer gefälligst auch keinen zweiten haben. Und eben: Wenn mein Leben aus freudloser Plackerei besteht, dann sollen sich auch die anderen totschuften. Deshalb schlägt einem Hasso Plattner derselbe Neid entgegen wie einem Florida-Rolf. Gerechtigkeit ist, wenn es allen scheiße geht.
Die Idee mit dem Euro
Und dann gibt es noch etwas, das man hierzulande nicht verstehen will: „Die betroffenen Länder haben gesündigt, und nun müssen sie büßen“, hat Paul Krugman einmal die deutsche Interpretation der Eurokrise beschrieben. Aber womöglich war der Euro angesichts der großen ökonomischen Unterschiede innerhalb der EU von Anfang keine so gute Idee.
Vielleicht war es falsch, dass man sich, getrieben von der Sorge um ein allzu starkes wiedervereinigtes Deutschland, eine gemeinsame Währung gab, diese aber nach deutschem Muster als harte Währung konzipierte. Und womöglich wäre es für Italien, Spanien und Griechenland tatsächlich besser, aus dem Euro auszusteigen, um sich auf bewährte Weise ihrer Schulden zu entledigen: durch Inflation und Wirtschaftswachstum.
Aber einen solchen Gedanken auszusprechen ist für deutsche Medien ungefähr dasselbe, als würde man Straffreiheit für Pädophilie fordern, von einer muslimischen Weltverschwörung erzählen oder mutmaßen, der Mossad hätte die Anschläge vom 11. September inszeniert. Politik ist nämlich, wenn es keine Alternativen gibt.
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