Berlins neuer Knast wird eröffnet: Häftlinge hinter Glas
Helle Zellen mit deutlich mehr Platz: Heute wird in Großbeeren die JVA Heidering eröffnet. Insassen aus Tegel wollen indes nicht die neue Männerhaftanstalt.
Alles ist fertig – nur die Gefangenen fehlen noch. Am heutigen Donnerstag wird Berlins neue Männerhaftanstalt im brandenburgischen Großbeeren eröffnet. Der österreichische Architekt Josef Hohensinn, der die gläserne Festung in der märkischen Heide entworfen hat, wird anwesend sein. Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) und der Bürgermeister von Großbeeren werden warme Worte sprechen. Dazu gibt’s Häppchen und Sekt. Und alle werden schwärmen, wie schön und hell das neue Gefängnis doch ist und dass es so gar nicht wie ein Knast anmutet.
Der Neubau hat 118 Millionen Euro verschlungen. Das Knastprojekt in brandenburgischer Einöde war immer umstritten. Grüne und Linke warnten: Neue Knäste produzieren neue Gefangene. Die Befürworter fühlten sich dagegen bestätigt, als das Bundesverfassungsgericht die Unterbringung in einem Teil der Justizvollzugsanstalt Tegel als menschenunwürdig erachtete. Tegel ist eine Haftanstalt aus dem vorvorigen Jahrhundert. Bis heute gibt es dort Zellen, in denen sich das Klo direkt neben dem Bett befindet.
Ende April werde in Heidering mit der Belegung begonnen, kündigte Justizsprecherin Lisa Jani an. Der neue Knast verfügt über 648 Haftplätze, verbüßt werden hier Strafen von maximal sechs Jahren. Bis Ende 2013 soll das Gefängnis gefüllt sein.
Mit knapp über 10 Quadratmetern sind die Zellen in Heidering fast doppelt so groß wie die in den alten Tegeler Teilanstalten. Die Räume sind hell, die Fenster gehen fast bis zum Boden. Jede Zelle verfügt über eine abgetrennte Toilette. Alles ist licht und transparent. Selbst die 1,7 Kilometer lange und sechs Meter hohe Doppelzaunanlage, die das Grundstück anstatt einer Mauer umgibt. Die ganze Anlage ist so konzipiert, dass man mit deutlich weniger Personal auskommt als in den alten Berliner Haftanstalten. In Heidering wird viel mit Überwachungskameras gearbeitet werden.
Man darf gespannt sein, nach welchen Kriterien die Gefangenen ausgesucht werden, die ihre Strafe dort verbüßen sollen. Justizkenner befürchten, dass Heidering zur Vorzeigeanstalt wird und Tegel zur Resterampe für den gesellschaftlichen Bodensatz.
Der erste Schub von Gefangenen, der Ende April in Heidering anlandet, werde voraussichtlich aus Tegel kommen, sagte Justizsprecherin Jani. Der Hintergrund: In Deutschlands größtem Männervollzug herrscht, obwohl 1.300 Haftplätze vorhanden sind,akute Zellennot. Schuld daran sind zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Das eine bezog sich auf die menschenunwürdige Unterbringung in den alten Teilanstalten. Das andere betrifft die Sicherungsverwahrten. Sie haben Anspruch auf deutlich größere Zellen als die, die sie zurzeit bewohnen.
Wegen dieses Urteils wird in Tegel für die Sicherungsverwahrten derzeit die neue Teilanstalt 7 gebaut. Bis das Haus fertig ist, muss ein Provisorium her: In der Teilanstalt 5 bekommen die 30 Sicherungsverwahrten statt einer zwei Zellen. 60 Gefangene müssen deshalb ausziehen.
„Es herrscht große Unruhe“, erzählt ein Insasse. Bis Mai müssten die Umzüge gemacht sein. Längst nicht alle wüssten, wo sie hinkämen. Die paradoxe Situation fasst der Insasse so zusammen: 60 Gefangene müssen ausziehen, obwohl die Mehrzahl der Sicherungsverwahrten lieber nur eine Zelle bewohnen will, bis der Neubau fertig ist. „Schlafen können sie ja auch nur in einer.“ Da es sich um ein Provisorium handelt, werde es keine Durchbrüche durch die Wände geben.
Kaum ein Insasse wolle von Tegel nach Heidering, verlautet aus Gefangenenkreisen. Im Unterschied zum multikulturellen Tegel, wo das Leben pulsiert, wie es hinter Gittern pulsieren kann, erwartet die Gefangenen in Heidering Sterilität und gespenstische Leere. Zucht und Ordnung sind Synonyme, die dem neuen Knast schon jetzt anhaften. Dass die Küche in Heidering erst in Betrieb geht, wenn das Gefängnis zu einem Viertel belegt ist, erscheint da als geringeres Problem. „Für so wenige Gefangene zu kochen rechnet sich nicht“, sagt Jani. Hungern wird deshalb keiner. „Das Essen wird aus anderen Knästen angeliefert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe