Berlins merkwürdiges Selbstverständnis: Geschichte der Verschönerung opfern: Moment, hier stand doch mal ...
Berlin auf Blättern
von Jörg Sundermeier
Dieses eine Hotel da in der Budapester Straße, Schweizerhof hieß es, glaube ich, wo genau war das noch gleich? Das hatte doch immer dieses Dings davor, dieses runde, zu pompöse Vordach, das mit seiner echten falschen Pracht sehr Westberlin war, wo ist denn das geblieben? Es ist wie das Gebäude, an dem es sich befand, abgerissen worden, und das bereits im Jahr 1997. Das ganze Hotel wurde nur 31 Jahre alt, nun steht dort ein neuer Schweizerhof. Dies erfährt man, wenn man Arnt Cobbers Buch „Abgerissen. Verschwundene Bauwerke in Berlin“ liest.
Es ist ein altes, sehr abgenutztes Klischee, dass Berlin stets wird und nie ist; doch man selbst macht oft genug die Erfahrung, in einer Straße zu stehen, umgeben von Gründerzeitbauten, und zu denken: hier, wo nun ein Prachtbau aus dem 19. Jahrhundert steht, war doch gestern noch eine Baulücke? Und dort, wo nun eine Brache hässlich anzuschauen ist, stand da nicht eben noch eine Kirche? War nicht hier…? Ist nicht dort…? Und ja, oft scheint einen die Erinnerung zu täuschen, genauso oft ist es aber so, dass sich tatsächlich, scheinbar über Nacht, ein halber Kiez verändert hat. Auch jüngere Gebäude, die noch nicht einmal so alt werden konnten wie Jesus, ereilt schon ihr Schicksal in Form einer Abrissbirne.
Cobbers nun erinnert mit seinem Buch an einige besonders markante Gebäude, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen wurden, etwa an den Stettiner oder den Görlitzer Bahnhof, an das Schloss Monbijou, an das Völkerkundemuseum oder das sogenannte Schimmelpfennighaus, das unweit der Gedächtniskirche die Kantstraße überbrückte. „Nicht jeder abgerissene Bau ist ein Verlust“, stellt Cobbers in seinem Vorwort fest. „Aber manche Abrisse tun weh. In Berlin war man schon immer schnell mit der Abrissbirne zur Hand. Dieses oftmals geschichtslose Denken, ganz der Zukunft zugewandt, macht zwar den Charme der Stadt aus. Und doch: mancher verschwundene Bau stünde Berlin heute gut zu Gesicht.“
Sein Buch ist in vier Kapitel unterteilt, es geht um Bauwerke, die den Krieg nicht überstanden haben, um Bauwerke, die im Kalten Krieg der Politik zum Opfer fielen, um Gebäude, die nach dem Mauerfall für ihre Erbauung in der DDR büßen mussten, und schließlich um die Verluste, die aus dem bis heute andauernden Berlin-Boom erwachsen sind, Verluste wie etwa der Schweizerhof.
Jedes der Gebäude, sei es das Ku’damm-Eck oder die sogenannte Rattenburg, sei es das Columbushaus oder der Sportpalast, wird von Cobbers mit einem kurzen Porträt vorgestellt, zugleich wird mit historischen Bildern an die Gebäude erinnert. Oftmals, so stellt der Autor fest, war der Abriss eher politsch gewollt als durch den Zustand des Gebäudes erzwungen. Auch manches von den Nazis und dem Krieg schwer beschädigte Haus, wie etwa die Synagoge in der Prinzregentenstraße oder die Friedrichstraßenpassage, von der heute nur noch das „Tacheles“-Teilstück steht, hätte saniert werden können – hätte es dafür Gelder gegeben und ein gesellschaftliches Interesse. Viele Häuser mussten auch aus symbolischen Gründen verschwinden, erinnerten sie doch so sehr an den Krieg oder an die piefig-fröhliche „Frontstadt“ Westberlin.
Mithilfe seiner Hausgeschichten schafft es Cobbers, den Blick für das gegenwärtige Berlin zu schärfen, in dem sich das Vergangene so oft noch finden lässt – gerade auch dadurch, dass es fehlt. Oder dass, wie im Falle des Anhalter Bahnhofs, nur ein Reststückchen übrig geblieben ist, das mahnend auf das große Ganze verweist, das verschwunden ist. Diese Unruhe, die das hiesige Stadtbild so maßgeblich prägt, macht vielleicht den Charme Berlins aus. Es zeigt aber auch sein merkwürdiges Selbstverständnis.
Arnt Cobbers: „Abgerissen. Verschwundene Bauwerke in Berlin“. Jaron Verlag, Berlin 2015, 96 Seiten, 12,95 €
Jörg Sundermeier ist Verleger des Verbrecher Verlages
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