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Berlins Kultur zieht auch in den Untergrund

■ Der Lindentunnel wurde als neuer »Intermedienschauplatz« ausgeguckt

Tunnellösungen sind derzeit gefragt in Berlin. Nachdem man den Tiergarten geistig bereits für mindestens fünf Tunnelprojekte umgegraben hat, sucht nun auch die Kultur den Weg in die Katakomben. Der »Teknozid« hat den Weg in finstere Löcher geebnet, nun sollen auch Performancekünstler ihren Partykeller bekommen. Der Lindentunnel steht bereit.

Der Tunnel entstand aus einer gerade wieder modernen Überlegung. Sowenig der Kanzler am Spreebogen von vorbeirauschenden Autos, fliegenden Transrapids, ICEs, ICs, S- und U-Bahnen gestört sein will, sowenig wollte Kaiser Wilhelm II. sich seine Hausstrecke Unter den Linden für Parademärsche von einer Straßenbahn blockieren lassen. Die Firma Siemens & Halske ließ deshalb 1914-16, als andere in den Krieg zogen, einen Tunnel unter die Linden graben. Er wurde bis 1951 als Straßenbahntunnel der Linie 46 genutzt, diente als Kulissenlager des nebenanliegenden Gorki Theaters und als verborgene Aufmarschtrainingsstätte der DDR-Kampfgruppen. Studenten der Humboldt-Uni erinnern sich gern an die ordentlich aufgereihten Kämpfer, die an Feiertagen wie die Erdmännchen ans Licht traten, um sich in die Züge der Arbeiterklasse einzureihen. Das wahrhaftige Volkstheater ist nun leider vorbei.

Was lag da näher, als den Tunnel von der Stätte der Volkskultur in die Brutstätte der Underground-Kultur zu verwandeln. Wolfgang Watzlaw, Künstler aus Ost-Berlin und »Entdecker« der Unterführung, kreierte den Lindentunnel als »Intermedienschauplatz«. Vertreter der Tanzwerkstatt, der Ruine der Künste, des Lette-Vereins, der Freunde Guter Musik und andere Kulturmenschen bilden das »Kuratorium« des Projekts. Der Kultursenator wurde angesprochen und erschien sogar persönlich zur Pressebegehung des Tunnels. Hinter ihm das Wasser (an der tiefsten Stelle des Tunnels hat sich ein kleiner See gebildet), vor ihm die Riege der Journalisten und Künstler, berichtet der Senator von den ungeheuren Möglichkeiten des feuchtkalten Gewölbes. Geld könne er zwar nicht versprechen, aber er sei überzeugt von der Bedeutung die das Projekt usw. usf.

Wenn dem Senator für kulturelle Angelegenheiten das Wasser noch nicht bis zum Hals steht — die Künstler durften bei der Presseschau wenigstens einmal bis zum Knöchel im eiskalten Wasser stehen. Rudi Moser und Roger Döring führten die akustischen Möglichkeiten des Raumes vor, der an Hall nichts zu wünschen übrigläßt. In Gummistiefeln und ohne Gage, die Gesichter leichenblaß geschminkt, demonstrierten sie, daß man auch frierend und ohne Atelier oder Übungskeller dem Senator und der Presse eine Freude bereiten kann. Schlagzeuger Peter Hollinger, der es abgelehnt hatte, »für nix« zu spielen, durfte dann ein Video zeigen, in dem er den Tunnel und die darin befindlichen Stahlschränke trommelnd in Besitz nimmt.

Ein ganz besonderes Glück scheint für die Vertreter der Tunnellösung — man mag es kaum erwähnen— die Lage des Tunnels in Ost- West-Richtung zu sein. Der Tunnel, er besitzt eine Rampe von der Clara- Zetkin-Straße, die wie die Einfahrt einer Tiefgarage wirkt, gabelt sich in einen Ost- und einen Westteil. Beide Abzweigungen verlaufen in einer Krümmung auseinander. Außerdem bilden beide Tunnel Sackgassen, weil die Ausgänge Unter den Linden vermauert sind. Könnte es einen metaphorisch bedeutungsvolleren Ort geben als dieses Ost-West-Loch? Wann entdeckt die Kunst den Geheimtunnel zwischen Reichstag, Brandenburger Tor und Führerbunker für sich?

Daß eine der geplanten Aktivitäten, eine Klanginstallation von Hans Peter Kuhn, den Arbeitstitel Ost- West trägt, verträgt sich gut mit den Beschwörungen des Schauplatzkuratoriums, mit dem Lindentunnel könne »Berlin an zentraler Stelle einen kulturellen Treffpunkt von hohem Innovationswert gewinnen, der dem Ruf unserer Stadt als Ort des Neuen, der Auseinandersetzung und Begegnung entspricht«. Kunst, Politik und Stadtimagewerbung finden zueinander im Zwielicht einer Betonröhre.

Der »intermediäre« Tunnel soll geschmückt werden mit Installationen aller Gattungen, wie »experimenteller Architektur, Lasermalerei«, diversen »audiovisuellen Performances« und einer »kinetischen und solaren Installation«. Endlich! Wo die Sonne dafür herkommt, bleibt ein Geheimnis der Untergrundwerkler. Andreas Becker

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