Berlinmusik: Frieden und Flimmern
Wenn man mit Worten handelt, schafft man eine neue Wirklichkeit, indem man den Mund aufmacht. Oder etwas schreibt. Eine Widmung etwa. Wie der armenische Komponist Tigran Mansurian mit seinem Requiem.
Das 2011 vollendete Werk ist dem Gedenken der Opfer des Völkermords an den Armeniern gewidmet. Jenem Völkermord, der in der Türkei offiziell bis heute geleugnet wird. Damit ist Mansurians Requiem ein politisches Werk, ohne dass man es ihm an irgendeiner Stelle anmerken würde. Er verwendet den liturgischen lateinischen Text, der seit Jahrhunderten für Requiem-Kompositionen üblich ist. Auch die Musik verweist an keiner Stelle auf etwas außerhalb ihrer selbst.
Eingespielt wurde das „Requiem“ vergangenes Jahr in der Dahlemer Jesus-Christus-Kirche mit dem RIAS Kammerchor und dem für die Aufnahme angereisten Münchener Kammerorchester unter Alexander Liebreich. Die Chor- und Orchesterklänge, die Mansurian für die Totenmesse gefunden hat, verbinden Elemente der armenischen Folklore mit der europäischen Tradition der Sakralmusik vom Barock über die Romantik bis zur Gegenwart.
Mansurian wählt ein Register, in dem klare Harmonien friedlich neben atonalen Passagen stehen können, innige Momente mit expressiver Inbrunst abwechseln. Das Ganze ist durchgehend in einem schlichten Duktus gehalten, bei dem die Musik die Worte nie dominiert. Mansurian gelingt eine ergreifende Einfachheit, die Vergleiche mit klassischen Requiem-Vertonungen von Mozart bis Dvořák durchaus gestattet.
Bewegter und – bewusst – artistischer dann Hanns Eisler in seiner Filmmusik, die der vor den Nazis aus Deutschland geflohene Komponist während seines Exils in Hollywood unter anderem für Fritz Langs Film „Hangmen Also Die!“ (1943) schrieb, was ihm sogar die Nominierung für einen Oscar für die Beste Filmmusik einbrachte. Oder für den Dokumentarfilm „The 400 Million“ (1939) von Joris Ivens. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Johannes Kalitzke hat diese Werke neu eingespielt, zusammen mit einer alternativen Musik für einzelne Szenen von John Fords „The Grapes of Wrath“ (1942), die Eisler als Vorarbeit für „Hangmen Also Die!“ erstellte. Ergänzt werden diese Gebrauchsmusiken durch zwei Kompositionen aus Eislers Vor-Exil-Zeit, die „Kleine Sinfonie“ (1932) und eine „Hörfleißübung“ (1931).
Tim Caspar Boehme
Tigran Mansurian: „Requiem“ (ECM)
Hanns Eisler: „Original Motion Picture Scores“ (Capriccio)
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