Berlinmusik: Neue kalte Welle
Was geschah am 2. Mai 1989? Blöde Frage – natürlich wissen Sie das. Es erschien das Album „Disintegration“ von The Cure; ein Werk, das den Grundton der ausgehenden 80er Jahre punktgenau traf. Was wird am 13. Januar 2017 geschehen? Noch blödere Frage, I know. An diesem Tag soll das neue Album der Berliner Band Klez.e erscheinen, es trägt den Namen „Desintegration“.
Die Analogie zu den britischen Pop-Gotikern im Titel ist dabei genauso wenig Zufall wie die des Cover-Artworks mit anderen The-Cure-Werken. Denn mit „Desintegration“ haben Klez.e, die mit „Flimmern“ 2006 eines der stärksten deutschsprachigen Indiealben der vergangenen Jahre veröffentlichten, eine Art Hommage an The Cure aufgenommen. Hört man den Klang des Basses und der E-Gitarre auf diesem Album, kann man an nichts anderes als an die Düsterpop-Ikonen denken. Klez.e-Mastermind Tobias Siebert, der als Produzent halb Indiedeutschland betreut hat und auch mit Delbo sowie And The Golden Choir aktiv ist, orientiert sich auch im Gesang an Robert Smith. Die acht Midtemponummern sind sorgfältig und detailreich eingespielt und produziert, jedes Feilen und Schleifen hört man dem Sound an. Geschickt beginnt das Album in der Vorwendezeit („Früher da im Osten wollte ich in Wedding sein“, singt der in der DDR aufgewachsene Siebert), greift dann aber die düster-moderige Stimmung des Cold War und Cold Wave auf und transportiert die Atmosphäre ins Jetzt.
Der Song „November“ – er spielt nicht zufällig in dem Monat des Terrorangriffs in Paris – fasst die gegenwärtige elende politische Situation in wenigen Worten: „Es ist spät / die Welt in Wehen / November 2015 / so chronisch / so akut / so viele Jahre voller Blut“, heißt es darin, dazu quälen sich die müden Gitarren, mit Hall versehen. Das Desolate ist hier politisch. Und privat – der Song „Shhwarz“ (sic) kommt mit dem schlichten Refrain „Anti-/depres-/siva“ aus, auch da regiert Hoffnungslosigkeit und Aporie: „Schaut, wie es überall / auf der Erde explodiert / (. . .) wie uns das Ende / dieser Welt fasziniert.“
Kein Zweifel, das fünfte Klez.e-Album ist zeitgemäß, stimmig, wahrhaftig. Eine Kunst, ohne in übermäßigem Pathos Verzweiflung auszudrücken – das gelingt hier. Als Rezipient denkt man aber auch manchmal: Zu oft darf man das nicht hören, sonst bleibt man darauf hängen. Jens Uthoff
Klez.e: „Desintegration“ (Staatsakt/Caroline International), ab 13. 1., live: 16. 3., Berghain Kantine
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