Berlinmusik: Sterne und Mythen
Ein Album-Solodebüt mit knapp 44 Jahren ist schon ungewöhnlich. Dabei hat der Berliner Pianist Marc Schmolling eine Reihe von Veröffentlichungen unter seinem Namen vorzuweisen, allein vier Platten mit dem Marc Schmolling Trio. Und er ist erst recht kein Unbekannter, vielmehr zählt er als Mitgründer des Jazzkollektivs Berlin zu den prägenden Vertretern des abenteuerlustigen Jazz aus Berlin.
„Not so many stars“ zeigt ihn jetzt zum ersten Mal ohne Mitstreiter, zugleich ist es der Einstand seines Labels Schmollingstones, dessen Namen man wahlweise als „Schmolling’stones“ oder „Schmolling stones“ lesen kann. Letzteres wäre keinesfalls unpassend, denn ein Meilenstein ist diese Serie von Kompositionen und Improvisationen aus dem Hause Schmolling allemal. Wie der Titel andeutet, geht es nicht um das Grelle und Laute, sondern um die leiseren Töne.
Diese wählt Schmolling mit Bedacht aus, setzt auf lyrische Verdichtung statt auf raumgreifende Expressivität. Titel wie „Haiku“, „Twinkle“ oder „Nocturne“ bringen Schmollings Herangehensweise gut auf den Punkt, wobei seine Nachtmusiken nicht so sehr an das romantisch Suchende à la Frédéric Chopin denken lassen als vielmehr an ein Ertasten des Materials im Dunkeln, eine vorsichtige Erkundung des Tonraums. Auch harmonisch sind dies Erkundungen zwischen vertrauten Harmonien und den Intervallen ringsum, deren Zusammenklang weniger mit Dissonanz als mit erweiterter Harmonie zu tun hat. Das Universum dehnt sich aus, keine Frage. Und Marc Schmolling hat es um einige klingende Sterne bereichert.
Die Emanzipation der Dissonanz ist ebenfalls Thema auf „Self Mythology“, dem dritten Soloalbum des Berliner Produzenten Luca Mortellaro alias Lucy. Auch Lucy veröffentlicht auf seinem eigenen Label Stroboscopic Artefacts, das zu einer der führenden Adressen des jüngeren Techno gehört. Und dass sich unter „Techno“ eine ziemlich heterogene Mischung von Musiken fassen lässt, kann man an „Self Mythology“ sehr schön nachvollziehen. So spielt der Titel „Dissonance Emancipation“ an ein Prinzip des Zwölfton-Komponisten Arnold Schönberg an, zumindest dem Wortlaut nach. Das Ergebnis erinnert eher, wie große Teile des Albums, an experimentelle Meditationsmusik mit Anklängen an Rituelles und Fernöstliches. Und das durchaus gelungen.
Tim Caspar Boehme
Marc Schmolling: „Not so many stars“ (Schmollingstones), live am 25. 5., A-Trane
Lucy: „Self Mythology“ (Stroboscopic Artefacts/Rough Trade)
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