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Berliner WelträumeRaketenrummel in Berlin

Tilmann Siebeneichner vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität über die Erschließung des Weltraums vor knapp einhundert Jahren in Berlin.

Bild: AP
Interview von Gunnar Leue

taz: Herr Siebeneichner, Sie gehören zu einer Gruppe junger Wissenschaftler an der FU, die die Kulturgeschichte des Weltraums erforschen. Legen Sie sich da Space-Rock-Platten auf und fachsimpeln?

Tilmann Siebeneichner: Nein, so nicht. Wobei es so abwegig nicht wäre, denn als Forschungsgruppe Astrofuturismus interessieren uns auch die Vorstellungen in Bild und Ton, die sich die Menschen im 20. Jahrhundert vom Weltraum gemacht haben. Der ist zwar schon immer da, aber auch ein Stück weit vom Menschen konstruiert. Auch durch Musik, wenn man an Pink Floyd, David Bowie oder die Musik in Science-Fiction-Filmen denkt.

Was macht den Weltraum kulturgeschichtlich so spannend?

Hauptsächlich die Erwartungen und Hoffnungen, die sich mit ihm im 20. Jahrhundert verbanden. Das zeigte sich sehr deutlich in Berlin. Die Leute, die von Reisen zu den Sternen schwärmten, galten zwar als Spinne, trotzdem waren die Berliner fasziniert. Der Urania rannten sie zu den astronomischen Vorträgen die Bude ein. 1926 hatte auch eines der weltweit ersten Planetarien am Zoo eröffnet. Das alles trieb die Imagination und die Begeisterung für die praktische Erschließung des Weltraums voran. Es gab einen wahren Raketenrummel in dieser Stadt.

Wie meinen Sie das?

Der Konstrukteur Max Valier baute 1928 ein Raketenauto, das Fritz Opel auf der Avus testete. Und der letzte große Stummfilm der UFA, den Fritz Lang 1928/29 drehte, handelte von einer Reise zum Mond. Zu Promozwecken wollte die UFA eine echte Rakete bauen lassen und zur Premiere von „Frau im Mond“ starten. Sie heuerte Leute vom „Verein für Raumschiffahrt“ an: Hermann Oberth, den Vater der Raketentechnik, Wernher von Braun, damals Student an der TU, sowie Rudolf Nebel, einen Entrepreneur und Netzwerker. Die bekamen es dann nicht rechtzeitig hin, aber daraus entstand der Berliner Raketenflugplatz in Tegel, auf dem ab 1929 an Wochenenden Raketen abgeschossen wurden. Die Presse berichtete, es gab sogar Führungen. Bis sich das Militär der Raketenentwicklung annahm, die Technikpioniere kaufte und die Raketenforschung ab 1936 nach Peenemünde verlegte, wo später die V2 gebaut wurden.

Von Braun und Konsorten gingen nach dem Krieg in die USA, um dort Raketen zu bauen.

Nicht nur das. Auch Walt Disney arbeitete mit Wernher von Braun zusammen. Zusammen machte man 1955 die Fernsehsendungen „Man in Space“ und „Man and the Moon“, denen großer Einfluss zugeschrieben wird, die Idee der Raumfahrt zu popularisieren.

Im Interview: 

Berliner Welträume

Am 30. März werden die Astrofuturisten die "Berliner Welträume im 20. Jahrhundert" - von der Gründung der Urania 1888 bis zu den Astronautenparaden der 1980er Jahre - in einem öffentlichen Symposium im Henry-Ford-Bau der Freien Universität, Garystraße 35, vorstellen.

Vorträge widmen sich der Rolle von Institutionen, Akteuren und Medien bei der Verbreitung von Weltraumbegeisterung, aber auch der veränderten Wahrnehmung des Weltraums. Diesen Fragen wird etwa am Beispiel der Geschichte des "Raketenflugplatzes" und der öffentlichen Paraden von Astronauten und Kosmonauten nachgegangen.

Anmeldungen für das Symposium - sofern noch genügend Plätze vorhanden sind - sind bis Sonntag, 12 Uhr unter astrofuturismus@fu-berlin.de

Tilmann Siebeneichner

Jg. 1976, seit 2013 Mitarbeiter der Emmy-Noether-Forschergruppe "Europäischer Astrofuturismus und außerirdisches Leben im 20. Jahrhundert" am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin.

Mit der Weltallbegeisterung in Berlin war aber vorerst Schluss?

Wie man’s nimmt. Nach den ganzen Kriegsgräueln entstand vielfach die Vorstellung, die Zukunft der Menschheit liege im Weltraum. In den 50er Jahren wurde die Idee von Weltraumkolonien populär, auch Ufos und Außerirdische waren ein großes Thema. Filme spielten da eine wichtige Rolle. Nach skurrilen Scifi-Serien in den 30ern wie „Buck Rogers“ und „Flash Gordon“ bekamen die Filme einen seriösen Anstrich. Das hing auch mit der Atombombe zusammen – in doppelter Hinsicht. Die Raumfahrt ist ein Zwilling der Atomindustrie. In den 50ern glaubte man, Atomenergie sei sauber, die Rettung von allem Übel. Die Verheißungen des Atom- und des Weltraumzeitalters ähnelten sich. Anderseits machte die Atombombe Angst. Damit könne der Mensch das Weltall in die Luft sprengen, sagten Spiritistler, die Kontakte zu Außerirdischen vorgaben. Sie gründeten Ufo-Sekten, um über die unheilvollen Eigenschaften des Atomzeitalters aufzuklären und zur Harmonie aufzurufen. In Charlottenburg gründete sich 1955 so eine Sekte als „Medialer Friedenskreis“, der 20 Jahre lang Séancen abhielt und eine Zeitschrift veröffentlichte.

Gab es nicht auch in Ostberlin echte Weltraumeuphorie dank Kosmonauten wie Juri Gagarin und Sigmund Jähn?

Im Kalten Krieg wurde die Ost-West-Konkurrenz auch im All ausgetragen, bis hin zu Straßenbenennungen wie der Marzahner Allee der Kosmonauten. Es gab Triumphzüge von Kosmonauten beziehungsweise Astronauten in Ost- und Westberlin. Als der Kosmonaut Alexei Leonow 1965 in Ostberlin war, wollte er übrigens auch ein Westberliner Arbeiterviertel besuchen. Dort wurde er fast zusammengeschlagen: Man sah ihn nicht als Helden der Arbeiterklasse, sondern als Kommunistenpack.

Was ist in Berlin noch übrig von der Faszination Weltraum?

Sie hat ja überall stark nachgelassen, vor allem nach der Mondlandung 1969 und noch mal nach dem Space-Shuttle-Unglück 1986. Trotzdem gibt es in Berlin noch etliche Orte für Weltraumfans oder Hobbyastronomen: Sternwarten, Planetarien oder im früheren Pionierpalast in der Wuhlheide einen Spaceclub, den die Deutsche Luft- und Raumfahrtgesellschaft unterstützt.

In Friedrichshain gibt es einen „Klub Kosmos“, in Prenzlauer Berg eine „Bar Gagarin“ – Restspuren der Weltraumbegeisterung im Ausgehleben?

Die Verbindung zur Populärkultur ist ein spannender Aspekt. Mir ist zwar nicht bekannt, dass es in den 30ern eine „Raketenkneipe“ gegeben hätte, aber die Urania-Vorträge oder die Shows in den Planetarien waren in ihrer Popularität durchaus vergleichbar mit heutigen Kinoblockbustern. Und dass die Populärkultur des 20. Jahrhunderts bis heute unsere Vorstellungen vom All enorm beeinflusst, ist unbestritten. Denken Sie nur an die sphärischen elektronischen Klänge, die das Zukunftsorientierte und Futuristische am Unternehmen Weltraumeroberung unterstreichen. Der Witz dabei ist, dass im All gar kein Klang existiert.

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