Berliner Volksbühne: Das Theater lebt, lebt und ist tot, tot
Der Ruf der Berliner Volksbühne hat in den vergangenen Jahren gelitten. Nun zieht sie vermehrt Junge an. Hat die Volksbühne eine neue Erzählung gefunden?
Er ist ein Terrorist. Er ist ein Künstler, Performer und Regisseur, aber in all dem ein Monster mit zerstörerischer Energie. Er geht mit einer Maschinenpistole (aus Pappe) auf seine Statisten los, mit einer Säge (aus Pappe) auf das Bühnenbild, er schmäht seine Techniker als die „schlechtesten Techniker Deutschlands“, und rühmt sich selbst den „bestbezahlten Regisseur Deutschlands, der gleich mit allen seinen Schauspielerinnen schläft.“
Vegard Vinge, ein Künstler aus Norwegen, spielt diesen egomanischen, ins eigene Genie verliebten Regisseur, dessen Hang zum Gesamtkunstwerk totalitäre Züge annimmt, und er spielt ihn in „John Gabriel Borkman“ am Prater, der Nebenspielstätte der Berliner Volksbühne.
Meint er mit dieser Karikatur etwa Frank Castorf? Der vor vielen Jahren an der Volksbühne die Überforderung von Schauspielern und Zuschauern als produktive Methode entdeckte? Vinges Regisseur brüstet sich mit seinem Engagement in Bayreuth, dem Mekka des Gesamtkunstwerkers Wagner, und bekanntlich ist Castorf dahin für Wagners „Ring“ 2013 verpflichtet.
Berliner Theatertreffen im Sony Center am Potsdamer Platz
"Die (s)panische Fliege“, 18. Mai, 19 Uhr
„Kill your darlings!“, 19. Mai, 19 Uhr
Im TV
„Kill your darlings!“, 3sat, 26. Mai, 20.15 Uhr
„Die (s)panische Fliege“, zdf.kultur, 21. Juni, 21 Uhr
Aber es spuken noch andere Gespenster aus Kunst und Theater durch Vinges Figur, nicht zuletzt aus dem titelgebenden Ibsen-Stück „John Gabriel Borkman“, mit dem das Duo Ida Müller/Vegard Vinge zum Theatertreffen eingeladen ist.
Nicht der beste Ruf
Der Ruf der Berliner Volksbühne ist nicht mehr der beste. Zu oft sind die Inszenierungen von Frank Castorf nur noch anstrengend, aber nicht mehr inspirierend, zu oft enttäuschen Projekte von Gastregisseuren. Von dem, was einmal abenteuerlich anders und aufregend war, sind jetzt oft nur die Ambitionen geblieben.
Dennoch hat eine siebenköpfige Kritikerjury, die eine Spielzeit lang das ganze Land bereist und überall Theater anschaut, gleich drei Inszenierungen aus diesem Haus – neben Müller/Vinge von René Pollesch „Kill your Darlings!“ und Herbert Fritschs „Die (s)panische Fliege“– für das Theatertreffen (bis 21. Mai in Berlin) ausgewählt.
Drei aus einem Haus, das ist äußerst selten. Der volksbühnenmüde Theatergänger in Berlin reibt sich verwundert die Augen. Hat er da etwas verpasst? Gibt es eine neue Erzählung der Volksbühne?
Tanz mit den Zombies
Die Wahl der Kritikerjury ist das eine Indiz, ein anderes findet sich im privaten Umfeld. In Polleschs Stück sitze ich zufällig neben einem Kunstprofessor, der sehen will, worüber seine Studenten so begeistert und heftig diskutiert haben. Eine Freundin bekommt die Karten zu Herbert Fritschs „Murmel Murmel“ von ihrer Tochter geschenkt, ein Freund geht hin, weil sein Sohn ihm davon vorgeschwärmt hat.
All diese über Fünfzigjährigen, die Castorf früher mal toll fanden, aber nun das Haus schon länger gemieden haben, folgen den Empfehlungen der Jüngeren auch mit einer gewissen Beglückung. Da kommt was zurück, da lebt was weiter, da steigt eine nächste Generation mit Begeisterung ein, wo man selbst schon sehr skeptisch geworden war.
Frank Castorf als Regisseur spielt in dieser neuen Erzählung keine sichtbare Rolle: Dennoch ist der Ort, die Volksbühne, kein Zufall. Alle drei Inszenierungen beschauen das Theater als eine historische Erscheinung, sie tanzen gewissermaßen mit den Zombies aus einem Museum, stellen das eigene Genre stets selbst in Frage. Und dass sie dabei einerseits am Klamauk, am Slapstick, an Jahrmarkt, Artistik und Geisterbahn anknüpfen, andererseits aber virtuos den Diskurs des Zweifelns an jeder Herstellung von Sinn beherrschen, ist eben die Tradition des Hauses.
Bei Vinge/Müller ist der Aasgeruch am aufdringlichsten, die Darsteller, mit Masken und Pappkörperteilen gepanzert, wirken wie ferngesteuerte Puppen, die Stimmen verzerrt wie von einer längst ausgeleierten Mechanik. Zugleich ist das Anachronistische aber auch überaus detailfreudig und liebevoll ausgestattet. Handgemalt und puppig erscheint das Bühnenbild, fast glänzt die Farbe noch feucht, die hier die Illusionen erzeugt und stets im Verlauf der Performance zerstört wird.
Aus dem Theatermuseum
Bei der „(s)panischen Fliege“ stammt das Stück, eine hundert Jahre alte Komödie der einst sehr erfolgreichen Autoren Arnold und Bach, selbst aus dem Theatermuseum. Auch Herbert Fritsch überführt den Witz, der hier aus der Wiederkehr des Verdrängten resultiert, den verleugneten Liebschaften, in eine zwanghafte Mechanik. In ihr zappeln die Figuren ebenso wie der Zuschauer, der sich der bösen Schadenfreude nicht enthalten kann, wenn wieder einer schwankt, abrutscht, stürzt. Schon jedes der Kostüme, zu eng oder zu steif, zwingt hier dem Körper eine Form auf, jeder zu balancierende Perückenturm verlangt eine Haltung, die natürlich aus dem Konzept gebracht werden will.
Ende März, nach der Bekanntgabe der Jury-Auswahl, hatte „Murmel Murmel“ von Herbert Fritsch an der Volksbühne Premiere, ein noch konsequenteres Stück. Der Text stammt vom Objektkünstler und Dadaisten Dieter Roth (1930–1998) und enthält tatsächlich nichts als das Wort „Murmel“, auf 176 Seiten. Fritsch braucht hier nicht mal mehr eine Geschichte, um Kunst- und Unterhaltungskonzepte vom Bauhaus bis Fluxus, vom Theater bis zur Fernsehgeschichte durchzuspielen. Viel trägt das Bühnenbild hier bei: farbige Wände, die sich wie die Segmente einer Blende weiten oder zusammenschnurren können, sperren die Schauspieler plötzlich in ein kleines Geviert, als wären sie im häuslichen Fernseher gefangen, und panisch schauen sie heraus.
Das Interesse aber, mit dem auf das Vergangene geblickt wird, ist immer von der Gegenwart geleitet, vom Überdruss an Mainstreamformaten in Kunst und Unterhaltung und an den Oberflächen des Kommunikationsdesigns. Das wird, unter anderem, in René Polleschs „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“ verhandelt, im Versuch eines Einzelnen, des Schauspielers Fabian Hinrichs, mit einem „Netzwerk“, repräsentiert durch einen Turnverein, eine Beziehung einzugehen. „Ich habe Nahweltbedarf“ ist einer der allgemein erheiternden Sätze, oder „das Leben ist keine dauernde Ekstase, das Leben ist eher ein Grillabend“.
Man kann an diesem Abend Kalauer sammeln über die Veränderung des Freundschaftsbegriffs in Zeiten sozialer Netzwerke – „wieso kommen denn nur vier Freunde zum Umzug, wo sind denn die anderen 396?“. Tatsächlich wünscht sich Hinrichs viel von jener Ausstattung des Individuums zurück, die in älteren Texten Polleschs als Illusionen und Inszenierungen verworfen wurden, Leidenschaften und Liebe etwa.
Panik vor der Leere
Galten die Subjektforschungen des Autors zuletzt den Ansprüchen der Selbstoptimierung und Flexibilität, die von den ökonomischen Verhältnissen jedem an seinem Platz auferlegt wurden, folgt er nun einer neuen Spur, einem neuen Element der Verkomplizierung der Ich-Konstruktion. Die Theatergeschichte hilft ihm dabei. Gegen den Arbeiterchor aus den Zeiten von Brecht wird das „Netzwerk“ mal eben so als Vertreter des Kapitalismus abgestempelt. Eine kühne Behauptung, die im Verlauf des Stücks aber weit trägt.
Theater als Antidepressivum, das konnte man oft lesen in den Besprechungen der Inszenierungen von Fritsch und Pollesch. Tatsächlich verhandeln sie offensiv das Sich-amüsieren-Wollen, die Unterhaltung um jeden Preis – und damit auch die Angst vor der Leere und der Langeweile, der mit Panik, ja beinahe Hysterie begegnet wird. Das Bekenntnis, sich zu langweilen, ist dem sozialen Ansehen äußerst abträglich, langweilen darf man sich nicht. Aber Fabian Hinrichs vertreibt das „Netzwerk“ die Langeweile nicht, noch immer ist ihm der Zustand nahe, in dem er als Kind bis 1.000 gezählt hat.
Das Theater, es lebt, es lebt, es ist tot, es ist tot, das krähen die Inszenierungen von Fritsch und Pollesch, die Performances von Vinge/Müller miteinander und gegeneinander heraus, die eigenen Widersprüche breit ausstellend, manchmal durchaus, aber nicht zwingend, mit der Möglichkeit, darin auch andere aktuelle Widersprüche zu erkennen. Nie aber bewegen sie sich im Bereich von Gewissheiten, so sähe gutes oder so sähe wichtiges Theater aus. Und damit stehen sie in der Tradition des Hauses.
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