Berliner Tagebuch: In die Nacht geflüchtet und verkrochen
■ Berlin vor der Befreiung: 6. April 1945
Foto: J. Chaldej/Voller Ernst
Seltsame Fügung, so als ob alles von langer Hand vorbereitet gewesen wäre und auf einmal sich ganz von selbst realisierte, ohne daß man einen Finger zu rühren brauchte. Das Ministerium genehmigte den Film „Leuchtkugeln“, die Ufa schloß mit mir einen Vertrag ab. Ich machte dem Oberst den Vorschlag, mich für diese Arbeit nach hierher (Mittenwalde, ein Ort in Bayern, J. K.) zu kommandieren. Er drängte mich auf eine beschleunigte Abreise. Am Karfreitag, nachdem in überstürzter Hast die Sachen, die wir mitnehmen wollten (schwierige Auswahl!) gepackt worden waren, machten wir uns auf den Weg nach Rosslau, von wo ein Lkw direkt nach hier fahren sollte – in der selben Nacht fuhren wir auf die Straße hinaus. Vorn, zu viert im zugigen Führerhaus.
Über die Elbe auf einer Pontonbrücke, neben den Ruinen der zerstörten Straßenbrücke. Das endlose, einförmige Band der Reichs-Auto-Bahn. Kälte, Wind, Halbschlaf, der immer wieder aufgestört wurde, Kontrollen. Das zerstörte Dessau im grauen Mondlicht. Hinter uns eine unangenehme Last: Panzerfaust und Sprengmunition. Regenschauer, Verdämmern, Aufwachen: Erinnerung an ähnliche Fahrten in Rußland, wo wir uns zur Nacht in irgendwelchen Häusern verkrochen.
Gegen Morgen, bei Tagesanbruch, Rast in einer kleinen thüringischen Stadt. Der Fahrer, ein ungemein zuverlässiger Obergefreiter, hat seine Frau aus dem Schlaf geweckt. Wir trinken Kaffee und wärmen uns... Horst Lange
„Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg“, hrsg. von Hans Dieter Schäfer, v. Hase und Koehler Verlag Mainz 1979.
Horst Lange (1904–1971), Schriftsteller. Bekanntestes Werk: „Auf den Hügeln vor Moskau“, das Carl Zuckmeyer als beste deutsche Prosadichtung aus dem letzten Krieg bewertete.
Recherche: Jürgen Karwelat
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