Berliner Szenen: Wer ist dumm und stellt sich schlau?
Auf einmal steht er da wirklich und lächelt, natürlich mit Schal. Eine letzte Begegnung mit Chris Dercon in den Eingeweiden der Volksbühne.
E s ist Ende März, wir stehen vorm Roten Salon, an einen Glaskasten hat jemand „LOL“ gesprüht und das O ist das Räuberrad, das vor der Volksbühne nicht mehr steht. Lange kein Dercon-Bashing mehr gelesen, denke ich.
Drinnen liest Marie Gamillscheg aus ihrem Debütroman „Alles was glänzt“. Es geht um einen Berg, den die Menschen so lange ausgehöhlt haben, dass er bald vielleicht zusammenbricht. Im Dorf daneben leben nur noch die Menschen, die nicht gegangen sind, und es ist alles etwas morbide, denn a) Provinz und b) österreichische Autorin. Wir sitzen auf einem der Sofas am Rand. Der Text ist gut, aber es ist bequem und ich bin so sterbensmüde, dass meine Gedanken immer wieder abschweifen. Wie gerne wäre ich jetzt eine Katze.
Anschließend bleiben wir noch etwas. Bis eine Frau was ruft und alle sind sofort still, so gut macht sie das. Es gäbe jetzt noch Freibier, finanziert von den Eltern der Autorin, in der Kantine. Aber dafür müssten wir alle jetzt mitkommen.
Ich war noch nie in dieser legendären Kantine und ich will sie zumindest mal sehen. Wie eine Touristenreisegruppe laufen alle im Gänsemarsch durch die Gänge und Treppenhäuser der Volksbühne und als wir gerade unten ankommen, steht da wirklich Chris Dercon, mit Schal, natürlich, und lächelt uns an.
Die Kantine ist klischeehaftestens verraucht. Auf dem Klo ist es dann, das Dercon-Bashing. „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, bei Dercon ist es andersrum“, steht über den Pissoirs. Na ja. Ist doch eigentlich eine Leistung, wenn man sich als Dummer schlau stellen kann?
Wir trinken doch nichts mehr. Beim Rausgehen fällt mir wieder ein, dass wir an Silvester dieses Zettel-klebt-am-Kopf-Spiel gespielt haben und ich Chris Dercon war. Ich hatte es nur mit einiger Hilfe erraten.
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