Berliner Szenen: Gitarre is ooch jut
Der 80. Geburtstag
Ich bin dem alten Mann dabei behilflich, sich hinzusetzen. Er schnauft leise und bedankt sich. Seine Wangen sind unsauber rasiert, sein unterer Kinnbart hat sich mit den Brusthaaren zusammengetan.
„Alles gut?“, frage ich.
„Ja, jut! Dit is nett! Ick feier meinen Achzigsten, echt. Kieken Se mich ma an, nich schlecht, wa? Is ja aba ooch erst am fuffzehnten zwölften. Ick hab jesucht und jesucht, da sind ja die janzen Weihnachtsfeiern. Jesucht, ohne Ende, dit könnse sich nich vorstellen. Ick dachte schon, ick muss uffm Tennisplatz feiern. Dann hab ick doch wat jefunden, beim Kegelclub, wo alle rinpassen. Wissen Se, die eine Tochter aus Coburg, der Sohn in Stuttgart, die andere in Berlin. Und dann die janzen Enkel. Sieben Stück! Die müssen ja alle Bescheid wissen. Und denn die alten Kollejen, die Freunde von mir und meener Frau.“
Er lehnt seinen Gehstock an die Sitzfläche und streckt mir sieben gehobene Finger entgegen. Ich nicke.
„Und denn wollen wa singen, janz am Anfang, und denn noch ma, wenn wa dit Glas erhoben haben. Ick hab eenen jemietet mit Gitarre, der spielt denn dazu und wir singen. Dit is jar nich so einfach, wer kann denn noch die janzen Texte. Ick hab mir jetzn Buch jekooft mit Liedern. Meene Tochter hat jesagt, ick muss die Lieder für alle kopieren. Na, jetz hab ick janz schön zu tun. Na, is ja noch Zeit. Früher ham wa immer Tanzvergnügen jemacht, da ham wa alle jetanzt, meene Kinder ooch. Aba ick hatte nen Todesfall in der Familie, da will ick dit jetzt nich. Gitarre is ooch jut, dit is oochn bisschen Unterhaltung und jut. Wissen Se, letztet Jahr im Herbst is meene Frau jestorben.“ Er hält inne, driftet in Gedanken ab, seine Augen werden feucht. Dann sammelt er sich wieder, lächelt kurz und sagt: „Ick will nich mehr tanzen. Tanzen is vorbei.“
Björn Kuhligk
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