Berliner Szenen: Alte, unbekannte Tante
Der Luftballon
Ja, der Wahlkampf steht an. Das merkte ich kürzlich, als ich auf einem Kiezflohmarkt in Charlottenburg war. Neben bunten Klamottenbergen stachen rote SPD-Luftballons ins Auge. Good job, dachte ich, bis ich Zeugin einer verstörenden Szenerie wurde. Ich war gerade dabei, einen der bunten Klamottenberge zu durchwühlen, als ein Herr neben mir eine junge Mutter, die an ihrem Kinderwagen einen solchen roten SPD-Luftballon montiert hatte, fragte, wo denn der Stand der SPD sei. Die junge Frau schaute den Herrn an, als ob er vom Mond kommen würde. Sekunden der Stille verstrichen, bis sie zur Antwort gab: „SPD? Was ist das?“
Der Herr, der gerade im Begriff war, einen Hotdog zu verschlingen, schien sich vom Verschlucken bewahren zu müssen. Auch ich, die keinen Hotdog aß, aber das Gespräch verfolgt hatte, ließ die Jeans, die ich gerade in den Händen hielt, wieder in den Klamottenberg gleiten und wartete gespannt auf das, was noch kommen würde. Der Herr erklärte ihr dann, dass die SPD eine politische Partei sei und sie eben gewissermaßen für diese Partei Werbung machen würde, indem sie den Luftballon spazieren fahre. Die Frau guckte noch immer so, als ob der Herr vom Mond kommen würde, und sagte dann: „Ich interessiere mich nicht für Politik, ich hab den nur für den Kleinen genommen.
Der mag Luftballons und den gab’s umsonst.“ Dann ging sie einfach samt rotem SPD-Luftballon weiter und ließ mich und den Herrn fragend bis sprachlos zurück.
Ein roter SPD-Luftballon ist doch keine Jeans vom Flohmarkt, die man nur des Tragens wegen trägt!? Dahinter steckt eine Botschaft, von der man zumindest gehört haben sollte, bevor man sie zur Schau trägt. Sekunden der Stille verstrichen wieder, bis der Herr kopfschüttelnd weiterlief. Vorbei an roten SPD-Luftballons.
Eva Müller-Foell
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen