Berliner Szenen: Aber bitte ohne Filter
Identitärer Raucher
Die meiste Zeit meines Lebens hatte ich Camel ohne geraucht, vermutlich weil eins meiner Jugendidole, der 68er-Schriftsteller Bernward Vesper, in seinem Buch „Die Reise“ auch ständig Camel ohne geraucht hatte. Ansonsten gab es viele Fußnoten in dem Buch, in denen vermerkt war, welche Haschsorten und wie viel er beim Schreiben dieser oder jener Passage verwendet hatte. Über dem Schreibtisch meiner Jugend hatte jedenfalls ein Foto von Bernward Vesper gehangen. Ich war sozusagen identitärer Markenraucher. Lange Zeit hatte ich sogar mit Camel-ohne-Zigaretten Joints gedreht, allerdings auch deshalb, weil der Drehtabak früher so schlecht gewesen war. Die Leute vom Späti freuten sich, wenn sie schon wussten, was ich haben wollte. „Wie immer?“ – „Wie immer.“
Am Abend des 1. Mai hatte ich die letzte Camel ohne mit G. am Schreibtisch geraucht. Sie war, wie immer, unangekündigt vorbeigekommen. Wir hatten uns von den Sachen erzählt, die wir erlebt hatten in der Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten. Sie hatte sich darüber gewundert, dass viele ihrer feministischen Freundinnen es nur gut finden, wenn Männer sich feminin anziehen; wenn Frauen sich dagegen feminin anziehen, fänden sie das doof. Ich hatte erzählt, wie ich mich als Kind als Rotkäppchen verkleidet hatte und dass das die Erwachsenen komisch gefunden hatten. Weil ich Probleme hatte, hatte sie gesagt, sie wolle mir helfen, ich solle die Camels ohne aber lassen und weniger Bier trinken. Kiffen wäre okay, aber am besten nur pur und drei Tropfen Hanföl am Morgen, das hilft gegen alles. Komischerweise war der Abschied vom Camel-ohne-Rauchen völlig unsentimental, und später dachte ich nur noch selten daran. An meinem Geburtstag darf ich auch wieder welche rauchen; nur die Leute vom Späti sind ein bisschen enttäuscht. Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen