Berliner Szenen: Aus der Scheide gekrochen
Vom Ursprung
Hinten im Auto sitzt Fup zusammen mit seinem Freund Leo. Vorne sitzt ihr Chauffeur. Ich. Sie lassen sich gerade zu Monsieur Ibrahim fahren, um einen Käsekuchen zu sich zu nehmen. Die Sonne scheint, ich habe das Fenster auf der Fahrerseite heruntergekurbelt, milde Luft mit einem Hauch von Abgasen strömt herein, der Frühling verbreitet Frühjahrsmüdigkeit, dösig beobachte ich die anderen Autos um mich herum. Schließlich dringt Fups Stimme zu mir nach vorne wie durch Watte, als er zu Leo sagt: „Ich bin durch den Bauch gekommen. Meine Mum hat sich den Bauch aufgeschnitten. Dann bin ich raus.“
„Das heißt Kaiserschnitt“, wartet Leo mit einer Information auf, die nicht auf dem Schirm gehabt zu haben Fup etwas zu wurmen scheint. Interessante Unterhaltung, denke ich, und da sie ins Stocken gerät, glaube ich etwas beisteuern zu müssen: „Fup ist ein Kaiserschnittkind.“ Aber die beiden ignorieren meinen Einwurf, der allerdings sowieso wenig Substanzielles bietet. Fup fragt: „Bist du denn durch die Scheide gekrochen?“ – „Iiiih“, sagt Leo, fügt dann aber hinzu: „Ja natürlich, was denkst du denn?“ – „ ‚Scheide‘ ist doch kein Schimpfwort“, sagt Fup. „Meine Schwester hat auch eine.“ – „Na klar“, sagt Leo, „die haben alle eine Scheide.“
Wieder entsteht eine kleine Pause, während Fup unüberhörbar überlegt, worin der Vorteil bestehen könnte, aus dem Bauch statt aus der Scheide gekrochen zu sein: „Und wenn deine Mama pullern muss, wenn du durch die Scheide kriechst?“ Konditional II, das hier korrekt gewesen wäre, also: „Und wenn deine Mama hätte pullern müssen, als du durch die Scheide gekrochen bist?“, ist ja auch nicht ganz einfach. Aber es ist klar, worauf Fup hinauswill. Er kichert, denn Leo fällt nichts ein. Außerdem sind wir angekommen, und mit dem Run auf den Käsekuchen erledigt sich jede weitere Diskussion. Klaus Bittermann
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