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Berliner SzenenIn der Bahn

Jagdgesellschaft

„Ich bin so fett, ich sehe aus wie Uwe Johnson“

Eine recht lange Strecke. Eine langweilig lange Fahrt. Als ich um 11 auf die Uhr schaue, ist es erst halb neun.

Ich sehe den Leuten beim Aussteigen zu. Schließt sich eine Tür, öffnet sich keine andere. Es ist nur eine weitere Tür zu. Wie man in den Wald ruft, so schallt es auch auf keinen Fall hin­aus – im Gegenteil, man erntet Schweigen. Und nichts ergibt sich. Aus dem einen ergibt sich auf keinen Fall das andere. Das eine ist das eine, abgeschlossen, fertig. Danach fängt man wieder von vorne an.

Irgendwann steht ein Quartett von geschätzt 50-Jährigen vor mir. Zwei Frauen, zwei Männer, alle tragen Schwarz. Sie mustern sich in den dunklen Fenstern. „Ich bin so fett, ich sehe aus wie Uwe Johnson.“ – „Die Zeit hat sich Zeit gelassen. Die Rache erfolgte spät.“ – „Krebs, Endstadium. Hirntumor.“ – „Wohl zu viel schlechte Musik gehört.“ – „Er hatte auch so eine Vorliebe für Frauen mit Schilddrüsenunterfunktion. Schildkrötenfrauen, nannte er die.“ – Frauen mit Schildkröten.“ – „Mit Funktion.“ – „Mit Unterfunktion.“

Ein dickes Mädchen liest Amy Schumer. Ein alter Mann quetscht ein Akkordeon aus. Ein Telefon klingelt (der Klingelton ist ein gemischter Chor, der ein hohes A singt): Das ­Realitätsprinzip ruft an. Reflexhaft schaue ich auf mein Handy, doch da tut sich nicht viel. Eine befreundete Paartherapeutin fragt via Facebook, was Liebe ist. Aber das weiß ich auch nicht so genau.

Und wieder das Quartett. „Die Balz ist doch viel aufregender als der angehängte Alltag, aber das scheinen nicht viele so zu sehen. Sie gehen auf die Jagd, um sich eine Trophäe über den Kamin zu hängen. Gilt auch umgekehrt. Sie lassen sich jagen. Die meisten sind mit ihrer Rolle als lebendes Geweih sogar ziemlich einverstanden. Sogar so weit, dass sie sich selbst tätowieren lassen.“ René Hamann

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