Berliner Szenen: Zum Mitsingen zu früh
Klassentreffen
Beachtlich ist der Pulk, der sich vor der Hauptstraße 155, zwischen Tattoo-Studio und Physiotherapie-Praxis, anlässlich der Enthüllung einer Bowie-Gedenktafel eingefunden hat: Für die teils weitgereisten Fans und Medienvertreter muss die halbe Straße gesperrt werden.
Bürgermeister Michael Müller bemerkt in seiner Rede, dass absurd ist, das David Bowie und Iggy Pop ausgerechnet zum Entgiften nach Berlin gezogen sind. Aber dass es auch dank ihnen zu der Kulturstadt geworden ist, als die sie sich gerne präsentiert.
Edu Meyer, einst Tontechniker in den Hansa Studios, erzählt, wie er zum weihnachtlichen Gansessen hier war, und Tobias Rüther, Autor eines Buch über Bowies Berlinophilie, rechnet vor, dass der Brite netto nur wenige Monate hier lebte, dies aber nach wie vor strahlt.
Vom Logenplatz im ersten Stock guckt eine Frau mit Mundschutz zu. Muss die Zahnärztin sein, die all die Widmungen gesammelt hat, die nach seinem Tod vor der Tür abgelegt wurde. So stand es in einer Zeitung. Weil sie es traurig fand, all das Herzblut, das von den Fans da reingeflossen ist, dem Regenwetter zu überlassen. Und jetzt nicht weiß, wohin damit.
Im Publikum geht es zu wie beim Klassentreffen, großes Hallo hier und da. Viele Menschen haben etwas mit Musikbezug aus dem Schrank geholt. Raymond Pettibons ikonisches Sonic-Youth-Cover steht neben einer Lederjacke mit Rod-Stewart-Antlitz. Ganz schön heterogen, dieser Bowie-Tribe.
Zum Mitsingen, wozu die Band Chuckamuck animieren will, ist man zu so früher Stunde zu scheu. Durch „Heroes“ auf Deutsch müssen sie alleine durch. Ein älterer Freak erklärt seiner Begleitung: „Ich kann das jetzt nicht – bin noch im Rio-Modus.“ Erst am Wochenende war um die Ecke, auf dem Matthäus-Kirchhof, dieser anderen Berliner Musik-Ikone gedacht worden. Stephanie Grimm
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