Berliner Szenen: Müde in der S-Bahn
Bonjour Tristesse
Nach der Nachtschicht schiebe ich meinen müden Körper in die S-Bahn. Ein junger Mann, dem Aussehen nach ein Wohnungsloser, hat sich auf einer Bank niedergelegt und schläft den Schlaf der Erschöpften. Die Sicherheitskräfte in ihren gelben Westen rütteln immer wieder am Mann und an meiner Geduld, folgenden Satz wiederholend: „Sie müssen sich hinsetzen oder Sie müssen aussteigen!“
Interessant, denke ich, steht das in den Beförderungsbedingungen, oder gilt das nur für Obdachlose?
Als ich in die Gesichter der Mitfahrenden blicke, wähne ich mich schon fast im Nahtodbereich. Spätestens jetzt ist der Berlin-Hype für mich absolut nicht nachvollziehbar. Wer unbedingt hier wohnen möchte, weil es angeblich so geil ist, hat noch nie um sieben Uhr morgens in die Gesichter der Arbeitssklavenzombies geblickt, die ihren Lebenswillen zusammen mit dem Guten-Morgen-Kaffee heruntergeschluckt haben.
Mein Blick wandert wieder zu der entwürdigenden Szene, in der ein friedlich Schlafender mit aller Macht zurück in diese Tristesse geholt werden soll. Neid muss hier die Antriebsfeder sein. An der nächsten Station nimmt das Räumkommando das Opfer in ihre Mitte, um es nach draußen zu befördern. Ich springe auf, laufe zum ehemaligen Tatort der Ruhestörung und lege mich der Länge nach hin, damit es so aussieht, als würde ich schlafen wollen. Die Gelbwesten bekommen es noch mit, unternehmen allerdings nichts.
Diese praktische Form der Solidarität müsse sich gut anfühlen, sollte man meinen. Das kann ich leider nicht bestätigen. Eine Stunde später wache ich mit wirklich schlimmen Nackenschmerzen auf, außerdem ist es nicht die Wunschhaltestelle. Ich schließe erneut die Augen und hoffe, dass meine Welt später besser aussehen wird. Claudia Tothfalussy
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