Berliner Szenen: Einstürzende Billy-Regale
Fups Schutzengel
Nachmittags kommt Fups alter Kumpel Vicco zu Besuch. Das heißt Freizeit für mich. Sie verschwinden in Fups Zimmer. Als es ganz still wird, sehe ich lieber mal nach. Fup beißt gerade einem alten Weihnachtsmann den Kopf ab und fragt Vicco: „Willst du die Brust?“ Natürlich will Vicco die Brust. „Woher hast du die Schokolade?“, frage ich. Er hat sie aus einem Geheimversteck, das so geheim ist, dass er nicht mehr weiß, wo es sich befindet. Na gut, denke ich und lasse mir versprechen, dass keine weitere Süßigkeit aus irgendeinem Geheimversteck auftaucht und verspeist wird. Vicco stellt sich vor die Regalwand, und Fup schießt mit einem weichen Stoffball aufs Tor.
Ich versuche, mich zu entspannen. Gekichere und Wortfetzen, die keinen Sinn ergeben, dringen beruhigend an mein Ohr. Plötzlich ein Krach, der mich an einstürzende Neubauten denken lässt.
Ich springe auf und eile zu den beiden. Fup läuft mir im Flur weinend entgegen. Ich nehme ihn in den Arm und frage, wo es wehtut. „Hier“, sagt Fup. Er hat auf dem Rücken eine Beule und eine blutende Stelle. In seinem Zimmer sieht es aus wie nach einer Bombenexplosion. Teile des zweieinhalb Meter hohen Regals sind eingestürzt. Billy-Aufsetzregale liegen am Boden und haben eine Ritterburg und eine Rakete, in der sich Fups Geheimversteck befindet, zerstört. Überall liegen Nietzsche und Foucault herum.
Ich sage: „Da hattest du aber echt einen Schutzengel. Nein, mindestens zwei.“ Offenbar hat Fup einen Fußballhandschuh auf das Regal geworfen. Dann ist er hochgeklettert. „Achtung, das Regal wackelt“, hat Vicco gerufen, und Fup ist runtergesprungen, aber zu spät: das Billy-Aufsetzregal mit dem Fußballhandschuh obendrauf erwischte ihn am Rücken. Ich sage: „Fup, weißt du, dass du jetzt tot sein könntest?“
Vicco sagt: „Ja, aber ein Abenteuer war’s schon.“ Fup sagt nichts. Klaus Bittermann
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