piwik no script img

Berliner SzenenDie Polizei

Mööderlookism

Einer meiner Guppies im Aquarium ist gestorben

Auf der Leipziger Straße kurz vor der Kreuzung Charlottenstraße in Mitte. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs und habe einen Streifenwagen neben mir. Deshalb (und aber auch meistens sonst) halte ich an der roten Fußgängerampel. Die Polizei hat es zwar nicht eilig, sie sendet kein Licht- oder Tonsignal aus, aber wohl irgendwie doch, denn der Peterwagen fährt langsam über Rot.

Eine etwa 60-jährige Frau, die gerade die Ampel überquert, muss kurz warten. Sie zeigt den Polizisten die Plemplem-Geste und geht zu einem runden Späti-Häuschen. Empört ruft sie der Verkäuferin zu: „Haben Sie das gesehen? Die Polizei? Fährt einfach über Rot! Das darf doch nicht wahr sein, haben Sie das gesehen?“ Kurz durchzuckt mich der Impuls, ihr zuzurufen: „Wenn Sie ermordet werden würden, wären Sie doch auch froh, wenn die Polizei über Rot fährt, um Ihren Mörder zu schnappen, oder?“ Ich verkneife es mir und radle weiter. Wäre auch etwas dadaesk gewesen, denn wenn sie tot wäre, wäre ihr der Mörder wahrscheinlich herzlich egal.

Beim Wort „Mörder“ in meinem Kopf muss ich an meine schwedische Mitbewohnerin denken, die beim letzten Casting, als wir einen neuen Mitbewohner suchten, einen mittelalten Mann mit Glatze aus Südamerika nicht einladen wollte, weil sie sich zu 100 Prozent sicher war, dass er ein „Mööder“ sei. Würde man wohl Lookism nennen und deshalb haben wir ihn trotzdem eingeladen. Das Zimmer hat er nicht bekommen und sie vermied es, mit ihm allein zu sein während der Wohnungsbesichtigung.

Als ich im Büro ankomme, ist einer der Guppies in meinem Aquarium gestorben. Ich fische ihn heraus, frage mich, ob die Schwertträger ihn ermordet haben oder er – wie mein Kollege vorschlägt – einfach ziemlich alt gewesen ist.

Nicola Schwarzmaier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen