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Berliner SzenenAltes Ehepaar

Hassliebe

Zum ersten Mal bei der Fahrt sieht er ihr direkt ins Gesicht

Ein altes Pärchen in cremefarbenen Multifunktionsjacken und grauen Bundfaltenhosen steigt streitend in den Aufzug bei Kaufland am Alexanderplatz. Er trägt zwei große Kaufland-Tüten am rechten Handgelenk. „Dit schneidet“, schimpft er wiederholt vor sich hin und wechselt die Trageseite im Zehnsekundentakt. „Stell doch ma ab“, sagt sie immer wieder, erntet aber nichts als entnervtes Stöhnen.

„Wenn ick doch sage, du sollst abstellen“, zischt sie und fügt mit scharfem Blick in den Spiegel, mehr zu sich selbst als zu ihm, hinzu: „Da meckerste den janzen Tag nur über die Arthrose in der Hand, und wenn ick wat sage, dann stöhnste wieder. Damit zeigste ja nur, dass de nichts weiter zu sagen hast. Wie’n störrisches Kleinkind! Und das in dei’m Alter.“

Der Fahrstuhl hält im Erdgeschoss. Der Mann setzt bereits einen Fuß aus dem Fahrstuhl, sieht dann irritiert nach rechts und links und fängt erneut an zu schimpfen: „Sieht so das Parkhaus für dich aus? Also weeßte, ick trag hier trotz meiner Arthrose die Tüte und du musst nichts außer P drücken und kriegstes ma wieda nich hin, weil de zu beschäftigt bist mir zu sagen, wat ick tun soll.“

Sie zischt etwas Unverständliches in sein Ohr, drückt den Knopf zum Parkhaus, starrt ihn an und sagt: „Du weeßt janz jenau, dass de es ohne mich nich ma zu Kaufland schaffen würdest. Jar nichts würdste ohne mich schaffen.“

Zum ersten Mal während der Fahrt sieht er ihr direkt ins Gesicht. Eine Weile fixiert er sie stumm, dann lässt er die zwei Kaufland-Tüten mit voller Wucht auf den Boden fallen. Während sie sich hinkniet, die aus den Tüten gefallenen hellrosa Kerzen und Tischsets einzusammeln, schreit er: „Jetzt hör endlich auf, mir’n Tinnitus zu machen, oder du kannst deine goldne Hochzeitsfeier verjessn!“

Eva-Lena Lörzer

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