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Berliner SzenenIm Bus

Lecko mio!

Die Mutter verdreht ihre Augen und sieht aus dem Fenster

Am Bahnhof Zoo steigen ein Mann mit drei großen Koffern, eine Frau mit Krücken und eine Frau mit einem Kinderwagen hinten in den M 45er ein. Die Frau mit Krücken und die Frau mit dem Kinderwagen setzen sich auf zwei der Klappstühle, der Mann lehnt sich auf seine Koffer. Er mustert für einen Augenblick das kleine Mädchen im Kinderwagen und sagt dann: „Du bist ja ein süßer Tiger – genau wie deine Mutter, heh?“ Die Mutter verdreht ihre Augen und sieht betont konzentriert aus dem Fenster, statt auf ihn einzugehen.

Aus der Tiefe einer Tasche erschallt gedämpft Reinhard Meys „Über den Wolken“ als metallener Handyklingelton. Der Mann zieht langsam und umständlich ein altes Mobiltelefon aus der Tasche und geht lautstark ran: „Hallo. Ja! Hallo, hallooo. Jaaa! Hallooo!“ Alle Umsitzenden bis auf die neben ihm sitzenden Frauen starren den Mann an.

Die beiden Frauen reden tapfer gegen das Geschrei neben ihnen an. Es geht dabei um blaue Augen: Sowohl das kleine Kind als auch die Frau mit den Krücken hat eins. „Gestoßen, in der Kindermöbelabteilung von Ikea!“, ruft die Mutter zum Nachbarsitz rüber. „Unfall, dritter in zwei Jahren, zweimal genäht, eine sehr schlimme OP, erst vor drei Wochen!“, ruft die Frau zurück und deutet auf ihre Krücken: „Die werde ich nicht mehr so schnell los. Und alles nur, weil die die Straßen nicht richtig sauber halten in dieser Stadt!“

Der Mann lässt sich von der Unterhaltung der beiden Frauen neben ihm nicht irritieren und reagiert immer lauter auf seinen Gesprächspartner am anderen Ende: „Lecko mio, lecko mio! Ich mach nix mehr. Nix. Ich mach, was ich will. Flieg zum Mond, Mensch!“ Unter den Augen und vor den Ohren des gesamten Busses brüllt er schließlich: „Schluss! Ende! Schluss! Schluss! Schluss! Ende, Finito! Schluss! Schluss!“ in sein Handy.

Eva-Lena Lörzer

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