Berliner Szenen: Nikotinshampoo
Betteln lernen
Ihre Haare sind dünn, sehr dünn, und sie schüttelt immer wieder den Kopf. Nein, sagt sie zu der Verkäuferin, mit Nikotin, das soll mit Nikotin sein. Es gibt aber kein Shampoo mit Nikotin, antwortet die. Mit Koffein haben wir. Sie meinen bestimmt, mit Koffein. Nein! Mit Nikotin. Das haben wir nicht, das gibt es nicht. Hier, Koffeinshampoo. Das ist gut. Sie schüttelt unablässig ihren Kopf. Ich will aber Shampoo mit Nikotin! Vielleicht meint sie Marihuana, sage ich. Führen wir nicht. Oder Bier? Das haben wir nur als Tabletten, Bierhefe. Meinen Sie Bier? Nee, das habe ich schon probiert, da wurden die Haare auch nicht dicker von.
Ich würde jetzt gern nach der Bourbonlotion fragen, dem Sektgel. Das ganze Badezimmer eine Bar, eine Tresendusche, einen 18 Jahre alten Whiskey im Haar, danach die Rumlotion. Das Einzige, was ich finde, ist eine Duschschorle mit Rhabarber.
Draußen stehen Kinder und singen „Die Gedanken sind frei“. Ein Mädchen sammelt schüchtern mit ihrer Mütze Geld. Das ist normal an der Warschauer Brücke, irritierend nur das Vorschulalter, noch irritierender die Erzieherinnen, die im Hintergrund stehen und am Ende des Auftritts fragen, wie viel in der Mütze ist. Nur drei Euro. Das sind, sagen sie streng, zwei Euro weniger, als die Gruppe vor euch eingenommen hat. Woran hat’s gelegen? Die Kinder gucken gequält. Die anderen können besser singen. Bei den anderen war die Ampel rot. Richtig, sagen die Erzieherinnen, und wenn ihr das Geld sammelt, müsst ihr lächeln und auf die Leute zugehen. Das ist ganz wichtig. Lächeln. Das schüchterne Mädchen lächelt nicht. Wer will schon lächeln, wenn einem das Betteln beigebracht wird.
Die Alte schiebt sich schimpfend mit ihrem Rollator vorbei: Das ist doch alles scheiße. Und nicht mal Nikotinshampoo.
Lucy Fricke
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