Berliner Szenen: Störender Strahl
Zug verpasst
Ein weißer Mercedes hielt direkt vor dem Haus. Ein Mann im weißen Trainingsanzug stieg aus. Während seine Freundin im Auto wartete, stellte er sich an die große Kastanie, an der mein Fahrrad meist steht. Ich meinte, ihn zu kennen, war mir aber nicht sicher und ging weiter zu Getränke Hoffmann. An der Kreuzung bettelten zwei Männer mit Krücken mit kleinen weißen Plastikbechern und sprachen die Autofahrer an.
Kurz vor Hoffmann lag ein Mann auf dem Boden. Er sah indisch aus und war vermutlich dicht. Ich hatte ihn häufig hier gesehen, das war sein Platz. Ich holte mir ein Bier bei Getränke Hoffmann. Der Mitarbeiter sagte: „Nur eins?“ Ich antwortete, ich sei doch vorhin schon hier gewesen und hätte mir nur eins geholt, weil ich zu wenig Geld dabeigehabt hatte. Als ich zurückkam, war der weiße Mercedes nicht mehr da. Er war tatsächlich nur in die Einfahrt gefahren, damit der Mann an meinen Baum pinkeln konnte. Mich störte das, weil das doch mein Platz war, an dem er seinen Strahl abgestellt hatte. Ohnehin war an diesem Tag alles danebengegangen. Eigentlich hätte ich jetzt in Schleswig-Holstein sein sollen, aber vormittags, beim Arzt, hatte es statt der erwarteten anderthalb ganze drei Stunden gedauert. So hatte ich den Zug verpasst und es hatte keinen Sinn mehr gehabt. Jetzt stand ich an dem Baum und kein Fahrrad da. Vor einem halben Jahr war mir das schon einmal geschehen; dann hatte ich es bei einem Gebrauchtfahrradladen wiedergefunden.
Ich überlegte, wann ich das Rad zuletzt benutzt hatte, und ging Richtung taz. Unterwegs stellte ich mir einen Winter ohne Rad vor. Vor dem taz-Café stand mein Fahrrad immer noch vor dem Zaun. Komischerweise war noch Luft in den Reifen, die ich ansonsten jeden Tag aufpumpen muss. Nachdenklich glitt ich durch die Friedrichstraße. Detlef Kuhlbrodt
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