Berliner Szenen: Erst mal röntgen
Ach, Ärzte
Es ist kurz nach elf und mein Ärger kippt um in willenlose Verzweiflung. „Kommen Sie um acht, bringen Sie ein bisschen Zeit mit“, hatte die Sprechstundenhilfe gesagt. „Gehen Sie ruhig noch eine Stunde raus“, sagte sie um acht, und seit Viertel nach neun sitze ich hier. Den anderen im Wartezimmer ergeht es kaum besser, manche atmen von Zeit zu Zeit hörbar aus.
Ich muss unbedingt etwas für meine Halswirbelsäule tun. Die Arbeit vor dem Rechner verwandelt meine Nackenmuskulatur langsam, aber sicher in ein zähes Steak, und ständig knackt irgendwas. Dass Ärzte, zumal Orthopäden, keine Zeit für ihre Patienten haben, ist bekannt, aber wenn man drinsteckt, ist es nicht auszuhalten.
„Herr Soundso in den Gipsraum!“, ruft es aus dem Lautsprecher, „Frau Dingsda zum Röntgen!“ Mein Name ist nicht dabei. Ich blättere in der Gala.
Dann der Sprechzimmertrick: Der besteht darin, dass man ins Sprechzimmer gesetzt wird, dort aber noch mal eine halbe Stunde lang die anatomischen Tafeln an der Wand studieren darf.
Endlich kommt der Arzt. Zack, zack, drehnse nach links, drehnse nach rechts, wo tut‘s denn weh, wir röntgen mal. Wieder warten. Röntgen. Noch mal warten. Arztkontakt Nr. 2 dauert auch nur anderthalb Minuten. Physiotherapie, Schmerzmittel, ja? Und Wirbelsäule aushängen, hier in der Praxis, acht Euro pro Sitzung.
„Aushängen“ heißt: Man legt sich auf eine Massageliege, den Kopf in einer Art Manschette. Daran ist ein Seil befestigt, das einem in regelmäßigen Abständen sanft den Nacken langzieht. Klingt schlimmer, als es ist.
Ich erzähle M., die es auch mit dem Rücken hat, von meiner Tortur. „Was, Aushängen? Will ich auch!“ Sie ist ein bisschen neidisch. Aber so ist es eben: Wer auf die Streckbank will, muss sich erst die Nerven zerren lassen. Claudius Prößer
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