Berliner Szenen: Mittegeschichte
Kinder, die Zeit …
„Der hier“, sagt K., „das ist mein Großer.“ Hätte ich mir auch denken können, sieht schließlich ganz so aus wie sein Vater. Also so, wie ich den in Erinnerung habe, von damals. „Ich hab ihm politisches Theater versprochen“, erzählt K. mit einem gewissen Stolz, da sei ihr Sohn mitgekommen. So sind sie, die Kinder von Hausbesetzern. Obwohl, Kinder trifft es ja nicht mehr wirklich. K.’s Großer ist jetzt auch schon 18. Kinder, wie die Zeit …
Das Kunsthausprojekt Kule feiert an diesem Wochenende 25-Jähriges. Besetzerjubiläum, wie gerade überall in Ostberlin. An der saniert unsanierten Fassade der Auguststraße 10 turnt die akrobatische Theatergruppe Grotest Maru. In sechs Bildern erzählt sie die Geschichte der Straße. Viel Armut, Prostitution in den wilden 20ern, die Vertreibung der Juden auch aus diesem Haus, die DDR und dann die Wende mit den Besetzungen. Dann die Scherben vom Band. Dies! Ist! Unser! Haus! „Eigentlich“, sagt M., „mochte ich den Song nie. Aber hier war das so festlich!“ Zu einer Endlosversion von „Our house“ tanzen die lächelnden Altbesetzer.
Drei Belgier stehen mit Bier auf der Straße und fragen, wer denn hier Geburtstag habe.
Schließlich hält der grandiose Pastor Leumund seine Trostpredigt für Mittedinosaurier. „Wir bleiben alle“, ruft der weihnachtsmannbärtige Dadaist und fügt hinzu: „auf der Strecke.“ Dann bietet er noch so etwas wie einen Ausweg. „Reißt euch zusammen“, ruft er, „einen Landsitz unter den Nagel!“
K.’s Großer erzählt von Pro-Flüchtlings- und Anti-Bundeswehr-Aktionen an der Schule und vom Stress mit dem Direktor. Dann zieht er weiter. Seine Mutter ist noch da. Wir unterhalten uns über graue Haare. Später scheppert noch eine Band: Wut und Wirklichkeit. Sie wirft mit Klopapier. Das kann man sich gut in die Ohren stopfen.
Gereon Asmuth
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