Berliner Szenen: Twittern auf dem Rad
Berlin ist wild und gefährlich. Und unsere AutorInnen sind immer mittendrin. Ihre schrecklichsten, schönsten und absurdesten Momente in der Großstadt erzählen sie hier.
I ch habe es eilig. Mein Kind sitzt hinter mir und will in die Kita. Vor mir fährt ein Mann sehr langsam mit dem Fahrrad die Grimmstraße entlang. Ich will gerade links an ihm vorbeiziehen, da schlingert auch er mit dem Rad nach links. Ein Auto kommt. Ich bleibe lieber hinter ihm. Offensichtlich kein sehr sicherer Radfahrer.
Auf einmal kann ich sehen, warum der Mann vor mir so langsam fährt und warum er so schlingert. Er hat sein Handy in der Hand. Nicht am Ohr, sondern in der Hand und tippt darauf rum. Dabei schaut er natürlich nicht auf die Straße, sondern aufs Handy. Er checkt wahrscheinlich gerade E-Mails oder befreundet sich mit jemandem auf Facebook. Vielleicht twittert er auch: „Fahre gerade mit dem Fahrrad in die Arbeit.“ Oder „Viel Verkehr auf der Straßen, aber so schöne gelbe Blätter auf dem Boden.“ In meiner Fantasie twittert er: „Werde gerade von einem Auto überfahren, weil ich beim Radfahren twittere.“ Oder „Ungeduldige Mami haut mir Regenschirm über den Kopf, weil ich den Verkehr aufhalte.“
Immerhin trägt er einen Helm, denke ich. Wahrscheinlich hat er schon Erfahrung mit dem Twittern auf dem Fahrrad und weiß, dass dies nicht ganz ungefährlich ist. An der nächsten Ecke überhole ich ihn. Während ich an ihm vorbeifahre, zeige ich mit meinem Daumen nach unten.
Ein Freund von mir hat mir mal erklärt, was es mit diesen Smartphones auf sich hat. „Du bist damit doch überall zu erreichen“, sagte ich zu ihm. „Genau“, antwortete er stolz. „Und man kann dich überall orten“, sagte ich. „Genau“, antwortete er. „Außerdem kann ich jetzt überall arbeiten und immer“, sagte der Freund, während er neben mir her lief und gleichzeitig seine E-Mails auf dem Smartphone checkte. „Das ist total super“, sagte er. „Ich bin dadurch total flexibel“, sagte er. Dann lief er gegen einen Laternenpfahl.
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