Berliner Szenen: Hitlerporträts
Berlin ist wild und gefährlich. Und unsere AutorInnen sind immer mittendrin. Ihre schrecklichsten, schönsten und absurdesten Momente in der Großstadt erzählen sie hier.
In Polen gibt es nicht nur einen Mutter-, einen Vater- und einen Kindertag, sondern dazu auch einen Oma- und einen Opatag. Eigentlich ist der Omatag immer am 21. Januar und der Opatag am Tag darauf, aber in meiner Familie packen wir immer beide zusammen auf den 21. Januar.
Oma und Opa gehen am liebsten zu dem Chinesen, zu dem wir schon immer gehen. Sie kennen dort alle Kellner und die Karte fast auswendig. Beim Essen erklärt Opa dem schwedischen Freund meiner Schwester, wie die Schweden im 17. Jahrhundert Polen besetzten. Der Freund nickt höflich.
„Aber so schlimm wie die Deutschen waren sie nicht und so schlimm wie die Russen auch nicht“, sagt Opa. „Nein“, sagt Oma, „später, im Sozialismus, als es nichts zu essen gab, da haben die Leute dann gesagt, ach, wären die Schweden bloß geblieben.“
Nach dem Essen gibt’s die Geschenke. Opa bekommt ein Buch: „Von Löffelmann und Stachelinchen. Geschichten von Tieren der deutschen Heimat“, das Buch, mit dem er als Kind Deutsch gelernt hat. Er hat uns das schon oft erzählt. Das Buch sei irgendwann im Laufe der Zeit verloren gegangen. Aber weil im Internet nichts verloren geht, nicht mal alte Bücher, kriegt er es heute geschenkt.
Opa ist gerührt. „Genau mit dem Buch habe ich Deutsch gelernt! 1939 war das.“ Aber eine Sache stört ihn: „Bei mir waren die Seiten weiß. Diese hier sind gelb!“ Meine Mutter sagt, das Buch sei ja auch schon ganz schön alt. Ja, sagt Opa.
„Damals“, erzählt er, „als die Deutschen kamen, mussten wir schnell Deutsch lernen. Und weil ich so gut zeichnen konnte, hab ich für meine Mitschüler immer Hitlers gemalt. So hab ich mein erstes Geld verdient. Meine Hitlers waren die schönsten. Jeder wollte meinen Hitler haben!“, ruft er stolz. Pssst, macht meine Mutter. Der Kellner bringt den Schnaps.
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