piwik no script img

Berliner Szene Sofareport

Ein Gedeck

Der Weg zumBadezimmer isteine weite Reise

Fast jeden Nachmittag war ich bei Getränke Hoffmann in der Blücherstraße gewesen und hatte neue Biersorten ausprobiert. Zum fünfzigsten Jubiläum des Unternehmens war man auf die pfiffige Idee gekommen, die Getränke-Hoffmann-Läden umzubenennen, damit sie gemütlicher klingen. Im Gräfekiez gibt es nun „Mein Hoffi“. Andere Filialen sind geschlossen worden, wie etwa die in der Blücherstraße. Das ist sehr ärgerlich, weil die Filiale dort angenehm und gut sortiert gewesen war.

„Ich bin auch ständig zu“, könnt ich nun schreiben, weil mein alter Freund M., ein 70er-Jahre-Revolutionär und Ex-Kommilitone von Steinmeier, sich freut, solche Sätze in der Zeitung zu lesen. M. war immer zu. Wir hatten jahrelang zusammen Tischtennis gespielt, geflippert oder bei ihm gesessen und über die Verhältnisse gesprochen. Später hatte sich herausgestellt, dass er in Wirklichkeit gar nicht haschsüchtig, sondern dem Alkohol verfallen war. Dann hatte er Diabetes bekommen, letztes Jahr kam noch Polyneuropathie dazu; bei einer MRT stellte sich heraus, dass sein Gehirn schrumpft. Dann war er die Treppe heruntergefallen.

Die Beweglichkeit ist arg eingeschränkt und mit Schmerzen verbunden. Der Weg zum Badezimmer ist eine weite Reise. Im Wohnzimmer läuft der Fernseher ununterbrochen. Zum Beispiel „Blaulichtreport“. Die meiste Zeit liegt M. in Decken eingemummelt halb auf dem Sofa und leidet und will ein Gedeck; Berliner Kindl plus Piccolo. Alkohol hilft ein bisschen. Ich meckere wegen des Trinkens, stell ihm sein Gedeck aber doch hin. Besuch hilft auch manchmal. Lesen ist schwierig, weil er sich nicht mehr konzentrieren kann wegen der Schmerzen. „Das letzte Buch, das ich gelesen habe, heißt ‚Revolution und Kultur‘ und ist 1973 in Moskau erschienen. Ein strunzdummes Buch! Aber ich lese gerne dumme Sachen.“ Detlef Kuhlbrodt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen