piwik no script img

Berliner SzeneDas alles hier

René Hamann
Kolumne
von René Hamann

Alltag in Berlin: ein Aushilfspostbote, mehrere Verkehrsverbalverbrecher und eine schnieke Münchnerin.

Das hier ist nicht Lena. Aber eine Frau, die ihre EC-Karte benutzt. Foto: dpa

A lltag in Berlin: Zwei junge Männer suchen in einem Supermarkt nach frisch gepresstem O-Saft. Den es, logisch, in einem Supermarkt nicht gibt. Zwei andere junge Männer eher aufgeplusterter Natur schreien sich an, weil der eine mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig fuhr und den anderen dabei fast umgenietet hat. Langes Gebrüll, handgreiflich wird es nicht. Schließlich erkennen sie sich irgendwie wieder. „Hey, ich kenn dich, Mann.“ Dann rasche Entschuldigung — immer noch durchaus in höherer Lautstärke — und Handshake. „Ich muss weiter, Mann, deshalb.“ Der eine, der den anderen eben fast umgefahren hätte, schwingt sich wieder auf sein Rad und fährt weiter. Natürlich über den Gehsteig. Und nimmt fast eine Passantin mit.

Auf dem Nachhauseweg, ich mache einen Bogen durch die Neubauviertel auf dem ehemaligen Mauerstreifen, hält ein junger Postbote vor mir und fragt mich nach einer Adresse. Ich erkläre ihm grob die Richtung. Noch ist Poststreik, das kann nur ein Aushilfspostbote gewesen sein. Deswegen kommt ja auch Lenas EC-Karte nicht in München an.

Lena wiederum arbeitet beim Film, ihr Handy sieht wie ein Game­boy aus. Die Hülle also. Sie fiel mir auf, weil ich nicht umhinkam, bei ihrem Telefonat zuzuhören. Sie saß am Nebentisch im Lieblingscafé und orderte lautstark Bargeld übers Telefon. Bei ihrem Team. Weil sie ihre EC-Karte im Automaten hat stecken lassen. An sich sah sie gar nicht so verpeilt aus, im Gegenteil: etwas streng, blonde Haare zusammengebunden, eckige Brille, schöner Mund und ein Blick, der irgendwo zwischen Schlafzimmer und Büro hängt. Sagen wir: ein Workoholic mit Schlafzimmerblick.

Schade, dass ich mich nicht traute, sie anzusprechen. Später, als ich nach Hause ging, bellten sich ein Fußgänger und ein Autofahrer an, diesmal gemischten Hintergrunds, weil der eine über Rot gegangen war.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!