: Berliner Psychiatrie als Vorreiter für die Zunft
■ Ärztekammer: Führende Rolle durch Vereinigung der Einrichtungen/ Ambulante Versorgung statt Klinik
Tiergarten. Berlin könnte in fünf Jahren eine führende Rolle innerhalb der deutschen Psychiatrie übernehmen, erklärte am Freitag der Präsident der Ärztekammer Berlin, Ellis Huber. Die Chance, die sich durch das Zusammenwachsen auch der psychiatrischen Einrichtungen beider Stadthälften ergebe, müsse genutzt werden. Gesundheitspolitiker sollten Prioritäten auf eine ambulante Betreuung in entsprechenden Einrichtungen in den Stadtbezirken legen und weniger Gelder in Großkliniken investieren als bisher.
Huber kam damit zu demselben Schluß wie die Experten aus halb Europa, die auf Einladung der Berliner Ärztekammer, des paritätischen Wohlfahrtsverbandes und der »Deutsch-Italienischen Gesellschaft für geistige und seelische Gesundheit« Anfang dieser Woche psychiatrische Einrichtungen im West- und Ostteil Berlin besuchten (die taz berichtete ).
Auf der gestrigen Pressekonferenz kritisierte Niels Pörksen, Vizepräsident der Deutsch-Italienischen Gesellschaft, daß in West-Berlin die den Bezirksämtern zugeordneten Sozialpsychiatrischen Dienste Patienten zwar beraten aber nicht betreuen würden, obwohl sie dies dürften. Pörksen forderte einen 24-Stunden- Notdienst, so wie es ihn bereits in Bremen und Bielefeld gebe. Ute Geißler, Psychiaterin im Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie in Lichtenberg bemängelte, daß sie seit dem Beitritt der DDR ihre bisher offene Station schließen müßte — die neue Gesetzgebung schreibe dies vor. Auf ihrer Station werde dadurch das Klima deutlich agressiver, die Patienten würden sich eingesperrt fühlen.
Wilfried Nax, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, erklärte auf Anfrage der taz, daß die Vereinigung statt stationärer die ambulante Behandlung unterstütze: »Sie ist preisgünstiger.« Die Weddinger Gesundheitsstadträtin Dorothea Salje- Rygg widersprach der Kritik an zumindest ihrem Sozialpsychiatrischen Dienst. Zwar seien auch im Weddinger Dienst Gruppentherapien nicht möglich, da sie sehr zeitaufwendig seien, daß aber die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen »sehr gut« funktionieren kann, zeige hingegen die im Bezirk neu eingerichtete Krisenambulanz. An dem Modellversuch (täglich erreichbar bis 24 Uhr) sind neben dem Sozialpsychiatrischen Dienst acht weitere Institutionen beteiligt. Die Mitarbeiter der verschiedenen Institutionen, die vorher zum Teil gegeneinander Vorbehalte hatten, »weil keiner wußte, was der andere eigentlich tut«, seien inzwischen begeistert, weil man sehr viel voneinander erfahre und der Austausch funktioniere. Dirk Wildt
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