Berliner Platten: Chanson in Deutschland: neue Platten von Kitty Hoff und Mathilda
Chanson hierzulande, das war bislang entweder plumper Sexappeal (Annett Louisan), Nachkriegscharme von Trümmerfrauen (Hildegard Knef) oder gar trampeliges Kabarett (Georgette Dee). Dabei gibt es doch Alternativen.
Kitty Hoff und Fôret-Noire prägten vor anderthalb Jahren selbst die zwar leidlich passende, aber wenig elegante Schublade „Chansonjazzpop mit deutschen Texten“. Nun, mit ihrem zweiten Album „Blick ins Tal“ festigen sie diese Charakterisierung, aber erweitern sie auch fröhlich. Denn Hoffs vierköpfige Begleitband, die nicht umsonst nach einem deutschen Klischee, dem Schwarzwald, benannt worden ist, kann wohl temperiertes Klavier ebenso wie gediegen gerührten Schlagzeugbesen, flotte Schlagerimitate und verführerisches Chanson, entspanntes Baa-Da-Dei-Dee und klingende Cocktailkirsche auf Stöckelschuhen. Vor allem aber schwingt stets die Ironie mit und setzt der Sarkasmus in der Intonation noch jedem aufrichtig gestopften Blechblasinstrument zu.
Zudem hat Hoff ihre Zunge weiter angespitzt: Auf dem ersten Album „Rauschen“ hörte man in ihren Texten immer noch die kecke Schule von Hollaender durch, diesmal findet sie endgültig eine eigene Stimme. Und die ist vielleicht weniger böse als die Klassiker aus den 20er-Jahren, aber dafür von bisweilen sogar feinerem Humor. So singt Hoff in „Blaue Stunde“ mit glockenheller Stimme vom Glück, das ins Meer sinkt, und schließt daraus Weisheiten von geradezu Gernhardt’scher Größe: „Auf dem Meeresgrund ist Zeit relativ“. Oder sie beobachtet die „Walzerkönigin“ und fragt sich: „Sie dreht und dreht und dreht sich im Kreis, der Schwindel ist ihr Hauptgewinn. Ist das ein Glück? Wer weiß.“
Glück aber hat zweifellos die Hauptstadt, denn hier renovieren nicht nur Kitty Hoff die liebe alte Dame Chanson, sondern auch Mathilda. Das Septett um Sängerin Anika Mauer, die ihr Geld eigentlich als Schauspielerin verdient, bringt nun ebenfalls sein zweites Album heraus: Im Vergleich zu Kitty Hoff allerdings ist die Ironie auf „M wie Mord“ nur ein gelegentlicher Gast. Stattdessen sucht Gitarrist und Songschreiber Florian Bald eher nach dem Absurden im Alltäglichen. So vertonen Mathilda erfolgreich Kontaktanzeigen („Mann, Mitte 30, gepflegt, charmant“), die Ernährungsgewohnheiten von Wiederkäuern („Die Kuh frisst Gras/ Wieso tut sie das?/ Nur zum Spaß/ Frisst die Kuh kein Gras“) und die Probleme des Polizeidienstes („Mein allerbester Freund, ein Freund der Norm/ Trägt auch im Bett ganz gerne Uniform“).
Das Erstaunlichste daran ist zweifellos, dass man das singen kann. Gut, vielleicht nicht man, aber doch zumindest Anika Mauer. Allerdings: So unbeschwert geht es nicht immer zu. Bald thematisiert in seinen Songs auch Ernsteres, trauert einer Fernbeziehung hinterher und beschreibt in dürren, aber eindringlichen Worten Gewalt gegen Frauen. Was, noch eine Überraschung, tatsächlich funktioniert. So ist „M wie Mord“ sogar noch runder geraten als der Erstling „supersexy rational“.
THOMAS WINKLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen