Berliner Platte : Lisi erobert sich den Thron für Raperinnen, und Lucry ist der Star jeder Klassenparty
Es hat sehr lange gedauert, bis Regina Marlies Chukwuedo ihr zweites Album zustande gebracht hat. Unter ihrem Rap-Pseudonym Lisi hat sie vor vier Jahren ihren Erstling „Wild“ veröffentlicht. Der war viel versprechend, aber unausgegoren. Dafür hat sich das Warten auf „Eine wie keine“ gelohnt. Lisi ist nun 23 Jahre alt und befördert sich aus dem Stand auf den Thron der besten deutschen Rapperin. Der allerdings war lange verwaist und entsprechend leicht zu erobern. Weibliche Wesen, die rappen, das war und ist im frauenfeindlichen deutschen Hiphop immer noch das reinste Kassengift. Auch „Eine wie keine“ dürfte für Four Music, das ansonsten erfolgsverwöhnte Label der Fantastischen Vier, ein Zuschussgeschäft werden. Und das vollkommen unverdientermaßen, denn Lisi ist ein geradezu klassisches, ausgewogenes Rapalbum gelungen, wie man es hierzulande – und erst recht aus Berlin – seit langem nicht gehört hat.
Denn die Tochter eines Nigerianers und einer Deutschen tummelt sich weder im charts-geilen Gangsta-Rap noch beim zunehmend sektiererischen Conscious Hiphop, sondern misst sich an den zeitlosen Vorbildern aus den frühen Tagen des Genres und den von ihnen geprägten Formen: Neben knalligen Party-Tracks und wütenden Battle-Reimen traut sie sich mit „Ich sterb für dich“ auch eine gefühlige Ballade. In „Juicy“ dokumentiert Lisi die eigene Hiphop-Vita vom Snoop-Dogg-Poster an der Wand über die Breakdance-Crew bis zu den ersten Reimversuchen und in „Berlin“ wird die Heimatstadt „zwischen Kirchen und Moscheen“ gewürdigt. Man kann das altmodisch nennen, der Rapper nennt es old school. So traditionsbewusst ist Lisi, dass sie selbst den guten alten Afrob, dessen erfolgreiche Zeit eine Ewigkeit vorbei zu sein scheint, zweimal zum Reimduett lädt. Und manches Sample klingt, als hätten sich schon Advanced Chemistry an derselben alten Soulplatte vergangen. Der fordernde, bisweilen atemlose Rapstil schließlich gemahnt an Cora E., die allererste, die den lange verwaisten Thron innehatte. Man kann wahrlich an schlechtere Traditionen anknüpfen.
Die Geschichte des Genres, auf das sich Lucry beruft, reicht nicht ganz so weit zurück. Reggaeton, der jamaikanischen Dancehall mit Einflüssen aus dem südamerikanischen Pop verbindet, feierte mit seinen prominentesten Vertretern Daddy Yankee und Pachanga seinen Durchbruch hier erst im Sommer 2005, entstand aber bereits in den Neunzigerjahren. Lucry, ein erst 16-jährige Berliner mit dem bürgerlichen Namen Luis Cruz und kubanischen Eltern, geht noch auf die Europa-Schule und erfindet sich mit seinem ersten Album „El Latino Alemán“ nun sein eigenes Fach im Plattenladen: Reggaeton mit deutschen Texten. Die sind zwar bisweilen etwas ungelenk („Zu viele Menschen denken in Schubladen / Und das stinkt mir gewaltig wie Kuhfladen“), aber dafür werden sie überzeugend flott vorgetragen zu ungemein knalligen Beats. Die stammen von Taan Newjam, der schon für Beenie Man oder Lil’ Jon arbeitete, und dürften jede Klassenparty zum Toben bringen. THOMAS WINKLER