Berliner Ökonomie: Problematische Geldstile
■ „Reden Sie mit uns!“ – Von der Kunst, richtig Schulden zu machen
Ein Brief meiner Hausbank legte mir kürzlich nahe, mich eingehender mit meinem problematischen Geldstil zu befassen. Der Begriff, der in dem Schreiben so nicht vorkam, wird in der psychotherapeutischen Behandlung von Glücksspielern verwandt. „Typische problematische Geldstile“, schreibt der Psychotherapeut Jörg Petry, „äußern sich bei Glücksspielsüchtigen in den beiden Extremen der Verschwendung und des Geizes, so daß schrittweise eine selbst-kontrollierte Veränderung des finanziellen Verhaltens im Sinne eines maßvollen Umgangsstiles mit Geld anzustreben ist.“
Einen problematischen Geldstil haben Zocker ganz bestimmt, aber darüber hinaus letztlich jeder, der regelmäßig der Aufforderung seiner Bank nicht nachkommen kann, das Konto auszugleichen. Die Überziehung des Dispositionskredites wertete meine Bank jedenfalls als deutliches Anzeichen für einen problematischen Geldstil. Man bot mir einen Gesprächstermin an. „Reden Sie mit uns“ oder „Die Bank, mit der man reden kann“, so lauten die Slogans verschiedener Geldinstitute. Wer ein Konto hat, wird zum Teilnehmer einer gigantischen therapeutischen Veranstaltung. Das anschließende Gespräch wollte ich meinerseits dazu nutzen, den Dispositionskredit entscheidend anheben zu lassen. Frau Weskemper, eine sympathische junge Frau in einem adretten Kostüm, ließ sich aber nur unter der Bedingung darauf ein, daß ich eine Risikolebensversicherung bei einer der Bank assoziierten Versicherung abschließe. Ich hatte geredet und einen Versicherungsvertrag bekommen. So muß sich wenigstens die Bank keine Sorgen machen, wenn der drohende soziale Abstieg über mich hinwegrollt.
Von meinem Freund N. habe ich gelernt, daß viel darauf ankommt, richtig Schulden zu machen. Er hatte vor einigen Jahren sein ganzes Vermögen in einen kleinen Verlag gesteckt, der diverse Fachzeitschriften über sogenannte Boomsportarten herausgab. In ein paar Jahren würde der Markt brummen, und dann würde er den Verlag zu einem Vielfachen seiner Investitionen zugunsten eines schönen und sorglosen Lebens verkaufen. Davon war er auch dann noch überzeugt, als die Geschäftsführung der Druckerei ihn für die angelaufenen Kosten von mehr als 300.000 Mark zur Unterschrift einer selbstschuldnerischen Bürgschaft zwingen wollte. „Reden Sie mit uns“ hatte seitens der Druckerei deutlich appellativen Charakter. Die Druckerei befürchtete die Pleite der GmbH und wollte sich wenigstens mit der lebenslangen Arbeitskraft des jungen Unternehmers absichern. N. hatte nicht die Absicht, sich in dieser Form an die Druckerei zu binden. Das Papier lag zur Unterschrift bereit. N. sah auf die Uhr, es war schon später Nachmittag. Die Geschäftsführer der Druckerei waren allesamt Familienväter. Zu Hause wurde das Essen kalt. N. erbat sich Bedenkzeit. Man gewährte sie ihm in einem Nebenraum, in dem er dann eine gute Stunde in verschiedenen Zeitungen las. Er sei noch zu keinem Ergebnis gekommen. Die Geschäftsführung der Druckerei brach die Sitzung schließlich ohne Unterschrift ab. Sie bekam sie auch später nicht.
Die Erfahrung, daß ein problematischer Geldstil nicht bloß mit Verschwendung oder grandioser geschäftlicher Selbstüberschätzung zu tun hat, machte ich bereits zu Beginn meiner beruflichen Bemühungen. Mental war ich noch nicht richtig auf die Techniken des Geldverdienens eingestellt. Als Freiberufler ging ich wider besseres Wissen davon aus, daß die paar Mark, die ich als Zeilengeld bekam, auch mir gehörten. Es war ein mühsamer, schmerzensreicher und kostspieliger Prozeß, sich an die landläufige Steuerpraxis zu gewöhnen. Das bessere Wissen um derlei Dinge hatte mich übrigens schon in der Obersekunda ereilt, als wir im Deutschkurs Heinrich Bölls „Ende einer Dienstfahrt“ durchnahmen. Den Protagonisten erwuchsen aus ihren problematischen Geldstilen allerhand Schwierigkeiten, die schließlich einen Jeep der Bundeswehr in Rauch aufgehen ließen.
Problematischer Geldstil ist nicht zuletzt auch eine Frage des Lebensstils. Dem Kollegen P. war es von Zeit zu Zeit ein besonderer Genuß, mit der Kreditkarte die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten zu überschreiten, und Freunde gleich um die Ecke beim Luxusitaliener daran teilhaben zu lassen. Er bekämpfte so die Versuchung des Geizes, die, siehe oben, ebenfalls zu den problematischen Geldstilen zählt. Die Abende mit P. hatten immer Stil und verliefen stets unproblematisch. Harry Nutt
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